8 Einleitung.
dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die Rezeption. Schließlich hat auch
die deutsche Gesetzgebung, namentlich die erste Reichskammergerichtsordnung
von 1495, sie gefördert, indem sie die Gerichte anwies, nach „gemeinem“ Recht
zu erkennen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts war die Rezeption fast in
ganz Deutschland eine vollendete Tatsache.
Die Rezeption beruht also in der Hauptsache auf einer durch die Renaissance hervor—
gerufenen gelehrten Begriffsverwirrung, auf der unkritischen Vorstellung, daß eine „klassische“
Institution als solche ohne weiteres auch für die Gegenwart Geltung beanspruchen dürfe.
Oft genug sind freilich die Gelehrten erst zur Rechtsprechung zugezogen worden, weil die
Rezeption des Fremdrechts bereits vollzogen und mit ihr eine Laienrechtsprechung natürlich
nicht verträglich war. Dann folgten also die Gelehrten dem fremden Recht. Toypisch ist
aber dieser Vorgang für die eigentliche Rezeption nicht. Typisch ist es vielmehr, daß erst
die Gelehrten kamen und das Fremdrecht hinter sich herzogen.
Man könnte versucht sein, die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland tiefer
aufzufassen, also sie nicht bloß auf eine gelehrte Verbildung der Juristen, sondern auf tat-
sächliche Vorzüge des römischen Rechts zurückzuführen. Man erweist aber damit dem flachen
Geist der Juristenzunft, die die Fremdherrschaft des corpus juris bei uns verschuldet hat,
zu viel Ehre. Selbst zugegeben, daß das römische Recht wirklich besser gewesen wäre als
das deutsche — die Juristenzunft jener Zeit hätte dafür kein Verständnis gehabt. Was ihr
an dem römischen Gesetzbuch allein gefiel, war, natürlich von der Kardinaleigenschaft ab-
gesehn, daß das corp#s juris vom Auslande kam und der Glanz der Antike darauf ruhte,
die schwülstige Sprache des Kodex und die Möglichkeit, die feinen und subtilen Erörterungen
der Pandektenjuristen in plumper Scholastik endlos fortzuspinnen. Natürlich gab es auch
unter den Juristen der Rezeptionszeit hier und da einen fähigeren Kopf; aber die große
Mehrzahl war von erschreckend geringer Einsicht und wurde denn auch von den klügeren
Zeitgenossen, z. B. von Melanchthon, Hutten, Zasius, mit bitterem Spott begrüßt.
IV. 1. Die Rezeption des römischen Rechts hat der deutschen Rechtsent-
wicklung einen nicht geringen Nutzen gebracht. So ist zunächst die zwar durch-
aus nicht einwandsfreie, aber doch der mittelalterlich deutschen formell weit
überlegene römische Methode, namentlich die Kunst scharfer Begriffsbestimmung
und Begriffsentwicklung sowie die Ausbildung freier, der Mannigfaltigkeit des
Rechtslebens sich schmiegsam anpassender Regeln, den deutschen Juristen als
eine reife Frucht in den Schoß gefallen; anfangs stümperhaft gehandhabt, hat
die römische Methode schließlich doch die deutsche Rechtswissenschaft zweifellos
gefördert. Sodann hat durch die Rezeption die deutsche Rechtseinheit gewonnen;
denn das römische Recht war ja als ein „gemeines“ Recht in ganz Deutsch-
land eingeführt; damit war ein Boden gefunden, auf dem sich die Kraft und
Kunst der deutschen Juristen zu gemeinsamer Arbeit vereinigen konnte, und es
war zugleich die Ausbildung eines gemeindeutschen Gewohnheitsrechts sehr er-
leichtert. Endlich war, auch was den materiellen Inhalt des Rechts angeht,
durch die Rezeption mancher Gewinn erzielt.
So war der Bann des rechtsgeschäftlichen Formalismus, der das deutsche Mittelalter
beherrschte, nunmehr gebrochen, es ward eine allgemeine Klagverjährung eingeführt, die
possessorischen Klagen kamen auf, der Verkäufer mußte für alle erheblichen Mängel der
Ware auch ohne besondre Zusage einstehn, der in Verzug befindliche Schuldner wurde auf
Schadensersatz haftbar gemacht usw.; nach der herrschenden Anschauung ist auch die Ein-
führung des Testamentsrechts ein Gewinn für unser Rechtsleben gewesen. Dem römischen
Recht ist ferner zu danken, daß der niedere Adel das Erfordernis der Ebenbürtigkeit zur