5 62 a. Verbotene, unsittliche Rechtsgeschäfte. 245
II. Unter den verschiednen gesetzlichen Verboten von Rechtsgeschäften sind
besonders hervorzuheben die folgenden.
1. Das Verbot der unsittlichen Rechtsgeschäfte (138..4
a) Das Verbot der unsittlichen Rechtsgeschäfte trifft bloß Rechtsgeschäfte,
deren Inhalt unsittlich ist. Dagegen läßt es ein Rechtsgeschäft unberührt, das
der Sittlichkeit nur durch die Zwecke, die die Parteien mit dem Geschäft ver-
folgen, oder durch die Art, in der die Parteien das Geschäft zustande bringen,
widerstreitet.
b) Ob der Inhalt eines Rechtsgeschäfts unsittlich ist, ist nicht nach den
individuellen Anschauungen der einzelnen Personen, die zufällig darüber zu
entscheiden haben, sondern lediglich nach den von der herrschenden Meinung
anerkannten oftmals höchst willkürlichen Moralitätsgesetzen zu beurteilen.
Beispiele. I. Der Inhalt des Geschäfts verstößt gegen allgemein anerkannte Gebote
der Sittlichkeit oder, wie das Gesetz sich ausdrückt, gegen die „guten Sitten", 1. wenn A.
dem B. 100 Mk. unter der Bedingung verspricht, daß dieser dem C. eine Tracht Prügel
gibt; 2. wenn der Diener des Arztes D. gegen ein Trinkgeld von 2 Mk. dem E. zusagt,
ihn vor den andern schon länger wartenden Patienten bei seinem Herrn anzumelden; 3. wenn
F. sich von dem Liebhaber seiner Ehefrau G. dafür bezahlen läßt, daß er deren Ehebruch
verzeiht; 4. wenn der Lustspielschreiber H. seinem sehr begabten Mitarbeiter J. das Ver-
sprechen abnimmt, daß dieser bei Vermeidung einer hohen Vertragsstrase niemals im Leben
eigne Lustspiele veröffentlichen werde." II. Anders liegen folgende Fälle: 1. a) Der Arzt M.
verkauft seine Praxis an den Arzt N. Hier kann der Verkauf im Einzelfall wider die
guten Sitten verstoßen, z. B. wenn M. sich verpflichtet, den N. seinen Kunden zu empfehlen,
obschon er ihn gar nicht näher kennt. Daß er aber ganz im allgemeinen unsittlich wäre,
läßt sich vom Standpunkt der herrschenden, ängstlich auf Schonung des Egoismus bedachten
Moral aus sicher nicht behaupten. In der Tat ist nicht einzusehn, warum es von diesem
Standpunkt aus zu beanstanden sein soll, wenn ein Arzt sich für die finanziellen Chancen,
die er durch Aufgabe seiner Praxis einbüßt, von dem, dem dieser Verlust zugute kommt, eine
Entschädigung beansprucht. In Betracht kommt dabei noch, daß ein Arzt, der seine Praxis
auf einen Nachfolger überträgt, diesen über alle seine Patienten informieren muß und sich
damit, will er diese Pflicht gewissenhaft erfüllen, eine nicht geringe Arbeit aufladet, die einer
Vergütung ebenso wert ist wie eine ärztliche Konsultation. Und weiter: wenn in einer
kleinen Stadt ein alter Arzt seine Praxis aufgibt und sein seit Jahrzehnten als Sitz der
Arztpraxis bekanntes Haus an einen jüngeren Arzt verkauft, so wäre er, vom Standpunkt
der herrschenden Moral aus beurteilt, ein Narr, falls er bei der Bemessung des Kaufpreises
den ärztlichen Nimbus dieses Hauses nicht mit berücksichtigte; er darf sich also in diesem
Fall für die Abtretung seiner Praxis unbedenklich in Gestalt einer Erhöhung des Kauf-
preises für das Haus eine Enischädigung ausbedingen; wie soll nun ein solcher Entschädigungs-
akt unsittlich sein, wenn die Praxis für sich allein, ohne Haus, abgetreten wird? Doch hat
das Reichsgericht mehrfach das Gegenteil angenommen.“ b) Der Arzt O. zahlt dem Arzt P.
eine Entschädigung dafür, daß dieser sich verpflichtet, sich bei Vermeidung einer Vertrags-
strafe nicht an dem Wohnsitz des O. als Arzt zu etablieren. Auch hier wäre es irrig, wenn
man den Vertrag, wie das Reichsgericht es tut?, allgemein für unsittlich erklären wollte.
Im Gegenteil, sobald O. und P. entdecken, daß sie nebeneinander in der kleinen Stadt
keinen ausreichenden Verdienst haben, so handeln sie nur verständig, wenn sie einen Vertrag
4) Lotmar, der unmoralische Vertrag (96); R. Leonhard, Verstoß gegen die guten
Sitten (07).
5) Siehe RG. 53 S. 155; 62 S. 278; 63 S. 390.
6) RG. 66 S. 141, 148. 7) RG. 66 S. 144.