Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

10 Einleitung. 
V. Das römische Recht ist bei uns nicht in voller Reinheit aufgenommen, 
sondern hat bei der Rezeption gewisse Änderungen erfahren, die zum Teil 
durch die Schule der Glossatoren und Postglossatoren und durch das kanonische 
Recht in Italien vorbereitet, zum Teil aber auch erst auf deutschem Boden 
entstanden sind. Es sind nämlich nicht bloß, wie schon erwähnt, rein negativ 
manche römische Institute von der Rezeption einfach ausgeschlossen, sondern es 
sind andre Institute auch positiv umgestaltet worden. 
Beispiele. Die Regel von dem sormlosen Abschluß der Konsensualverträge wird auf alle 
andern Verträge ausgedehnt; bei Verpflichtungen, die an einem bestimmten Kalendertage 
zu erfüllen sind, tritt der Verzug des Schuldners ohne besondre Mahnung des Gläubigers 
ein (dies interpellat pro homine); die väterliche Gewalt erlischt, sobald der Sohn sich einen 
eignen Haushalt gründet oder die Tochter sich verheiratet usw. 
VI. Die Literatur der Rezeptionszeit ist beträchtlich. Sie ist zum großen Teil populärer 
Art, indem sie sich an solche Leser wendet, die das Fremdrecht nur für den handwerksmäßigen 
Gebrauch erlernen wollten, also an Schöffen, Schreiber, Fürsprecher u. dgl.: als Beispiel sei 
der „Laienspiegel von rechtmäßigen Ordnungen in bürgerlichen und peinlichen Regimenten“ 
von Ulrich Tengler (1509) erwähnt.? Nicht selten gedenkt die Literatur dieser Zeit übrigens 
auch des einheimischen Rechts; so z. B. das Rechtsbuch des Eisenacher Stadischreibers Purgold 
von etwa 1510. Bedeutenderen wissenschaftlichen Wert haben fast nur die römischrechtlichen 
Schriften des Ulrich Zasius 4 (# 1535, zuletzt Prosessor in Freiburg i. Br.). 
c) Die Zeit nach der Rezeption bis zum Auftreten des 
Naturrechts. 1# 
85. 
I. Nach der Rezeption hat das deutsche Recht sich großenteils, wie in den 
Zeiten des Mittelalters, im Wege der Gewohnheit fortentwickelt; freilich hat 
das jetzige Gewohnheitsrecht seinen volkstümlichen Charakter zumeist verloren, 
weil die Stätte, wo das Gewohnheitsrecht seine Hauptwirksamkeit entfaltet, das 
Gericht, nun von fremdrechtlichen Juristen, von Doctores juris überflutet ist. 
Neben das Gewohnheitsrecht tritt aber allmählich auch ein ziemlich umfang- 
reiches Gesetzesrecht, sowohl des Reichs wie der einzelnen Territorien. Einige 
Territorien wagen sich sogar daran, größere Gesetzbücher abzufassen; unter 
diesen hat das bayrische Landrecht von 1756, auch Coder Maximilianeus 
Bavaricus civilis genannt, eine gewisse Berühmtheit erlangt. 
Beispiele. I. Durch allmähliche Gewohnheit ist das Institut der Erbverträge, die 
Todeserklärung gegen Verschollene ausgebildet, das mittelalterliche Verbot des Zinsennehmens 
abgeschafft usw. II. 1. Reichsgesetzlich ist das Erbrecht der Geschwisternachkommen neu geregelt 
(Reichstag v. Speyer 1529), die Zwangsvormundschaft für vaterlose Minderjährige über 
den römischen Termin der pubertas hinaus bis zum Ende der Minderjährigkeit ausgedehnt 
(Reichspolizeiordnung von 1548), beim Darlehn ein fester gesetzlicher Satz von 5% für 
Verzugszinsen eingeführt (Reichsdeputationsabschied von 1600). 2. Von größeren Landes- 
gesetzen kommen außer dem bayrischen Landrecht namentlich die Solmser Gerichts= und 
3) Stintzing, Geschichte der populären Literatur des röm.-kan. Rechts in D. (67). 
4) Stintzing, Ulrich Zasius (57). R. Schmidt, Freiburger Univers.-Programm (03). 
1) Stintzing, Gesch. der d. Rechtswissensch. Bd. 2 (84).
	        
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