Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

262 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
werden konnte. Hier ist C.#s Kauf in allen drei Fällen anfechtbar. II. D. wird, gleich nachdem 
er seine Mietwohnung bezogen, von seinem Vermieter E. damit überrascht, daß er seine ganze 
Jahresmiete pränumerando zu zahlen habe, und sein Erstaunen wächst noch, als er findet, daß 
in dem von ihm unterschriebenen schriftlichen Mietvertrage tatsächlich eine Klausel steht, die 
das Verlangen E.8 rechtfertigt; denn er glaubt, mit E. nichts dergleichen vereinbart zu 
haben. 1. Erster Fall: E. hat die Klausel eigenmächtig in die Vertragsurkunde eingefügt, 
nachdem D. sie bereits unterschrieben hatte. Hier ist die Klausel gefälscht, also nichtig. 
2. Zweiter Fall: E. hat die Klausel eigenmächtig in die Urkunde eingefügt, nachdem D. sie 
durchgelesen, aber bevor er sie unterschrieben hatte; D. hat die Einfügung nicht bemerkt, 
weil er in dem Augenblick nach seinem Federhalter suchte. Hier ist die Klausel zwar nicht 
nichtig, aber wegen Irrtums anfechtbar. 3. Dritter Fall: die Klausel stand schon in der 
Urkunde, als E. sie dem D. zum Durchlesen überreichte; D. hat die Urkunde samt der 
Klausel auch tatsächlich genau durchgelesen, dennoch aber den Sinn der Klausel falsch dahin 
verstanden, daß sie nur die Vorausbezahlung auf ein Vierteljahr bestimme, sei es, weil er 
seine Brille nicht bei sich hatte, sei es, weil die Klausel undeutlich geschrieben war, sei es, 
weil er, ohne sich dessen bewußt zu werden, nicht ordentlich auspaßte. Hier ist die Klausel 
gleichfalls wegen Irrtums anfechtbar. Doch neigt die Praxis dazu, in diesen Fällen die 
Anfechtung auszuschließen; wie mir scheint, ohne zureichenden Grund. 4. Vierter Fall: die 
Sachlage liegt ebenso wie im dritten Fall; nur hat D. die Urkunde gar nicht oder bewußter- 
maßen nur flüchtig durchgelesen. Hier ist die Klausel unansechtbar, wenn D. leichtsinnig 
genug war, sich über den Inhalt der Urkunde gar keine Vorstellungen zu machen, sondern 
im Vertrauen auf E.s Rechtlichkeit blindlings unterschrieben hat; denn dann hat er zwar 
den Inhalt der Urkunde nicht gekannt, aber sich dennoch nicht in bezug auf ihn, sondern 
in bezug auf E.ês Rechtlichkeit geirrt.? Dagegen ist die Anfechtung zulässig, wenn D., ob- 
schon in Unkenntnis über den Inhalt der Urkunde, doch positiv annahm, jene Klausel sei 
nicht in ihr enthalten, z. B. weil E. ihm die Urkunde vorgelesen und dabei die Klausel 
weggelassen oder weil E. ihm erklärt hat, in der Urkunde stehe nichts andres, als was 
mündlich vereinbart sei. Doch neigt die Praxis dazu, auch bei dieser Sachlage die Anfechtung 
auszuschließen. 10 
b) In allen drei Fällen zu a ist aber noch ein weiteres vorausgesetzt: 
der Irrtum muß „erheblich“ gewesen sein, d. h. es muß aus den Umständen 
hervorgehn, daß der Irrende, wenn er die Sachlage gekannt und zugleich den 
Fall verständig gewürdigt hätte, seine Außerung gar nicht oder doch nicht in 
der Art, wie er es getan, abgegeben haben würde. Entscheidend ist also für 
die Erheblichkeit nicht das subjektive, vielleicht sehr unverständige Denken des 
Irrenden, sondern die verständige, objektive Anschauung, die durchschnittlich im 
Verkehr vorherrscht. Freilich ist dabei auch auf die persönlichen Verhältnisse 
des Irrenden Rücksicht zu nehmen, aber eben nur soweit, als auch ein ver- 
ständiger Mensch, wenn er in diesen persönlichen Verhältnissen steckte, die an- 
gefochtene Willensäußerung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben 
würde. Abzulehnen ist dagegen die Ansicht, daß der Irrtum allerdings nach 
der objektiven verständigen Verkehrsanschauung, aber zugleich auch nach der 
subjektiven unverständigen Anschauung des Irrenden erheblich gewesen sein 
müsse 11; diese Anschauung widerspricht dem Wortlaut des Gesetzes und wäre 
praktisch nicht unbedenklich. 
8) Hierüber namentlich Leist a. a. O. S. 215. 
9) RG. 62 S. 205. 10) Siehe Leist a. a. O. S. 242. 
11) So Eck, Vorträge der Guttentagschen Samml. Heft 1 (96) S. 46; Gradenwitz 
S. 51. Dagegen Hölder S. 260; Endemann 1 § 71 .
	        
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