276 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte.
den Kauf für ihre Herrschaft abschließt; ebensogut ist es aber auch möglich, daß sie die
Sachen für ihre eigne Ausstattung kauft; ob das eine oder das andre der Fall, läßt sich
aus den Umständen nicht erkennen und ist für J. bei Abschluß des Kaufs erkennbar gleich-
gültig, während die G. bzw. der hinter ihr stehende H. ein Interesse daran hat. Hier
handelt die G. als Vertreterin des H., wenn sie — obschon unerkennbar für J.! — die
Sachen für H., sie handelt als Selbstpartei, wenn sie — obschon für J. ebensowenig er-
kennbar! — die Sachen für sich selbst besorgen wollte.
Man halte fest, daß, wenn es ungewiß ist, ob jemand bei einem Geschäftsabschluß als
Selbstpartei oder als Vertreter gehandelt hat, das Geschäft unter allen Umständen verfahren
ist. Die Kunst des Juristen kann hier also die Rechtsverhältnisse unter keinen Umständen
ganz befriedigend gestalten. Vielmehr muß man zufrieden sein, wenn das Ergebnis nur
einigermaßen erträglich ist. Unsre beiden Regeln zu a und § bieten aber ein solches Er-
gebnis. Dagegen wäre, wenn man die zweite dieser Regeln ablehnte, das Ergebnis wirklich
unerträglich. Man setze etwa in dem zuletzt genannten Beispiel den Fall, daß, nachdem die
G. aus H.s Dienst getreten ist, die von ihr für H. gekauften Sachen sich als mangelhaft
erwiesen; dann wäre, wenn wir nur die Regel zu a und nicht auch die zu 6 hätten und
also die G. als Selbstpartei behandeln müßten, zur Wandlung oder Preisminderung nur
sie selbst befugt, und H. müßte, um gegen J. vorgehn zu können, erst der G. nachjagen,
um sie dazu zu veranlassen, ihren Anspruch auf Wandlung oder Preisminderung an ihn
abzutreten!
2. a) Die passive Stellvertretung setzt gleichfalls ein Doppeltes voraus:
jemand gibt eine rechtsgeschäftliche empfangsbedürftige Willensäußerung gegen-
über einem Vertreter in der Weise ab, daß er einerseits die Außerung dem
Vertreter selbst zu eigner Kenntnisnahme entgegenbringt, andrerseits den ge-
äußerten Willen nicht als gegen den Vertreter, sondern als gegen einen andern
gerichtet gelten läßt. Durch das erste Erfordernis wird die Rechtsstellung
eines passiven Stellvertreters auch hier von der eines Boten, durch das zweite
Erfordernis von der einer Selbstpartei unterschieden.
Beispiel. Auf A.s Grundstück ruhn drei Hypotheken, von denen die eine dem B., die
zweite dem von B. bevormundeten minderjährigen C., die dritte der mit B. zusammen-
wohnenden Schwester B.s, D., gehört; nun schreibt A. drei Briefe, in denen er die drei
Hypotheken kündigt, adressiert jeden Brief an den betreffenden Gläubiger, liefert aber alle
drei Briefe persönlich an B. ab. Hier ist B. beim Empfang des ersten Briefs Selbstpartei,
beim Empfang des zweiten Vertreter, beim Empfang des dritten Bote.
b) Ob eine Partei, die ein empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft vornimmt,
die Person, an die sie sich mit dem Geschäft wendet, als Selbstpartei oder als
Vertreter eines andern anspricht, ist lediglich nach den allgemeinen Aus-
legungsregeln zu bestimmen. Es ist also nicht erforderlich, daß sie den An-
geredeten ausdrücklich als Selbstpartei oder als Vertreter bezeichnet, sondern
es genügt, wenn nur aus den Umständen, für den Angeredeten erkennbar,
hervorgeht, ob sie ihn als Selbstpartei oder als Vertreter eines andern hat
anreden wollen. Läßt sich weder das eine noch das andre feststellen, so wird
nicht etwa, wie bei der aktiven Stellvertretung, angenommen, daß der An-
geredete als Selbstpartei anzusehn ist, sondern es ist folgende Unterscheidung
zu machen.
a) Die Regel ist, daß das Geschäft seiner Mehrdeutigkeit wegen gar keine
Rechtswirkung hat.