fullscreen: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

286 Buch I. Abschnitt 5. Rechtsgeschäfte. 
sein soll; ihnen gleich stehn bei Vollmachten, die auf öffentlicher Bekannt- 
machung beruhn, alle Nebenumstände, die, wenn schon zufällig gerade dem 
Dritten nicht erkennbar, doch im übrigen offenkundig sind. Dagegen sind 
Nebenumstände, die nur dem Vollmachtnehmer erkennbar sind, bloß bei Voll- 
machten erheblich, die nur auf einer Vollmachtserteilung an des Vollmacht- 
nehmers Adresse beruhn. 
Beispiele. I. Frau A. hat ihre neu engagierte und ihr bis dahin völlig unbekannte 
Gesellschafterin B. mündlich bevollmächtigt, ihre Lauraaktien zu verkaufen und hat ihr die 
Aktien samt Dividendenbogen und Talons auch eingehändigt. 1. Hier kann die B. nicht bloß 
die Lauraaktien selbst, wie Frau A. ausdrücklich gesagt hatte, verkaufen, sondern auch die 
zugehörigen Dividendenbogen und Talons; denn das ergibt die Verkehrssitte und der Um- 
stand, daß Frau A. diese Papiere der B. zugleich mit den Aktien eingehändigt hatte. 2. Die 
B. darf die Papiere aber nur zu dem jeweiligen Tageskurse oder darüber und nur gegen 
sofortige Barzahlung verkaufen; denn das ergibt die Verkehrssitte. 3. Die B. darf die 
Papiere nicht bloß verkaufen, sondern auch dem Käufer gegen Barzahlung übereignen; denn 
das ergibt die Verkehrssitte und der Umstand, daß Frau A. die Papiere der B. ausge- 
händigt hatte. 4. Die Vollmacht der B. ist kausal, nämlich abhängig davon, daß die B. 
Gesellschafterin bei der A. ist; das ergibt der Umstand, daß Frau A. zu der B. gar keine 
andern Beziehungen hat. II. 1. Die C. hat ihre Freundin D. mündlich bevollmächtigt, 
bei E. eine Nähmaschine zu kaufen, falls E. die Garantie für guten Gang der Maschine 
auf dreißig Jahre übernehme; trotzdem hat die D. namens der C. dem E. eine Nähmaschine 
abgekauft, für die E. nur auf drei Jahre garantierte, und E. hat sich hierauf eingelassen, 
weil weder die C. noch die D. ihm etwas von der dreißigjährigen Garantie mitgeteilt hatte. 
Hier ist der Kauf für die C. unverbindlich; denn ihre Vollmacht ging nun einmal nur auf 
einen Kauf mit dreißigjähriger Garantie. Freilich ist eine derartige Beschränkung der Voll- 
macht sehr ungewöhnlich und widerspricht der Verkehrssitte durchaus. Doch kommt die Ver- 
kehrssitte bei der Bestimmung des Umfangs einer Vollmacht nur ergänzend in Betracht, 
wenn die Bestimmungen des Vollmachtgebers eine Lücke oder Unklarheit aufweisen. Hier 
hat aber die D. jene Beschränkung auf das deutlichste angeordnet. Es muß also dabei sein 
Bewenden behalten. Und auch das macht nichts aus, daß E. von der sonderbaren Bestim- 
mung der C. keine Kenntnis haben konnte; denn bei einer Vollmacht, die die C. nur gegen- 
über der D. erklärt hat, brauchte sie auch die etwaigen Beschränkungen der Vollmacht nur 
gegenüber der D. zu erklären." 2. a) Rentner F. hat seinem Sohn G. in notarieller Urkunde 
„Generalvollmacht“ gegeben, ohne in der Urkunde den Umfang der Vollmacht näher anzu- 
geben; G. verkaust darauf kraft dieser Generalvollmacht ein Haus seines Vaters an H. 
Hier ist der Verkauf für F. unverbindlich; denn der Ausdruck „Generalvollmacht“ hat im 
gewöhnlichen Sprachgebrauch den unbestimmten Sinn einer sehr umfassenden Vollmacht; 
er bedarf deshalb einer Ergänzung durch die Verkehrssitte.3 Die Verkehresitte aber erstreckt eine 
Generalvollmacht nur auf Geschäfte, die eine Vermögensverwaltung gewöhnlich mit sich bringt, 
und dazu gehört der Verkauf eines Hauses von seiten eines „Rentners“ regelmäßig nicht. 
b) Anders wäre zu enischeiden, wenn F. gewerbsmäßiger Grundstücksspekulant wäre: die 
Generalvollmacht eines solchen Spekulanten schließt nach der Verkehrssitte auch den Verkauf 
von Häusern regelmäßig in sich ein. III. J. gibt dem K. Vollmacht, Darlehne bis zu 10 000 Mk. 
mit höchstens fünfprozentiger Verzinsung und unter Festsetzung einer Kündigungsfrist von 
mindestens drei Monaten bei L. aufzunehmen; gleichzeitig macht er von der Erteilung dieser 
Vollmacht dem L. Anzeige; in der Anzeige ist aber die Verzinsung auf höchstens 6% 
und die Kündigungsfrist auf mindestens sechs Monate angegeben. Hier kann K. von L. auf 
Grund der ersten Vollmacht Darlehne zu 5% Zinsen mit dreimonatiger Kündigungefrist, auf 
Grund der zweiten Vollmacht Darlehne zu 6% Zinsen mit sechsmonatiger Kündigungsfrist, 
7) Zum Teil anders die 4. Aufl. dieses Buchs 1 S. 2347. 
8) Siehe RG. 52 S. 100.
	        
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