§ 71. Haftung für das Verschulden andrer. 307
hat. Bei ersterer Annahme ist der Verkäufer für die Arglist des Vertreters selbstverständlich
haftbar. Dagegen ist er bei letzterer Annahme haftfrei; es ist aber alsdann zugleich der
ganze Kauf unwirksam; denn der Kauf läßt sich nun einmal von der Arglist des Vertreters
nicht trennen. Das ist eine sehr einfache Erwägung. Dennoch ist das Reichsgericht in der
Anm. 12 genannten Enischeidung nicht auf sie verfallen; dafür wird hier die Haftung des
Verkäufers aus dem Grunde bestritten, weil sie den — Motiven widerspricht!!
b) Bei der Erfüllung einer Verbindlichkeit wird dem Schuldner jedes
Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und seiner Erfüllungsgehülfen, d. h.
der Personen, deren er sich zur Erfüllung der Verbindlichkeit bedient, wie
eignes Verschulden zugerechnet (278 Satz 1).
#) Die Zurechnung bezieht sich nur auf ein „Verschulden“ des gesetzlichen
Vertreters oder der Erfüllungsgehülfen; jede Entschuldigung, die diesen zugute
kommt, kommt also mittelbar auch dem Schuldner zugute, es sei denn, daß sie
nur in der Abwälzung der Schuld auf den Schuldner selbst oder auf andre
Personen, für die der Schuldner haftbar ist, besteht.
6) Die Zurechnung bezieht sich nur auf ein Verschulden bei „Erfüllung
einer Verbindlichkeit" und gilt demgemäß auch nur gegenüber dem Gläubiger
dieser Verbindlichkeit.
y) Die Zurechnung bezieht sich nur auf ein Verschulden des „gesetzlichen
Vertreters“ und der „Erfüllungsgehülfen"“. Und zwar muß das Verschulden
dem gesetzlichen Vertreter und den Erfüllungsgehülfen als solchen zur Last
fallen; beide müssen also bei Ausübung der ihnen zustehenden Verrichtungen
schuldhaft gehandelt haben.
Beispiele. I. 1. Konditor A. hat dem B. eine Torte zu liefern; er packt sie demgemäß
in einen Korb und schickt seinen Laufburschen C. mit dem Korbe zu B.; C. läßt aus Un-
achtsamkeit den Korb fallen, und die Torte verdirbt. Hier wird diese Unachtsamkeit C.s dem
A. als Schuld zugerechnet. 2. Derselbe Fall; nur hat C. den Korb nicht fallen lassen,
sondern D., der sehr viel stärker war als C., hat ihm den Korb aus der Hand gerissen.
Hier ist C. und also auch A. entschuldigt. Anders nur, wenn C. ein besonders schwächlicher
und furchtsamer Junge war; denn dann hätte A. ihn nicht als Laufburschen verwenden
sollen; demnach wäre in diesem Fall zwar C., nicht aber auch A. entschuldigt. II. 1. a) Der
bei dem Fuhrherrn E. angestellte Kutscher F. fährt mit seinem Einspänner derart in einen
Straßenbahnwagen, daß sowohl sein eigner Fahrgast G. wie auch der im Tramwagen
sitzende H. beschädigt werden. Hier wird das Verschulden des F. dem E. nur im Verhält-
nis zu G., nicht aber auch im Verhältnis zu H. zugerechnet. Denn nur G. war Gläubiger
E.s; nur ihm gegenüber stellte die von F. gelenkie Fahrt die Erfüllung einer Verbindlich-
keit dar. Dagegen war H. für ihn ein Fremder, dem er nichts schuldig war. b) Bei der
Entscheidung zu a ist angenommen worden, daß F. seinen Fahrgast G. im Namen E.s an-
genommen hatte; hatte er ihn dagegen in eignem Namen angenommen, so war auch nur er
selbst und nicht E. der Schuldner G.S; das Verschulden F.s darf also in diesem Fall dem
E. auch im Verhältnuis zu G. nicht zugerechnet werden. 2. J., der Diener des Arztes K.,
der von K. mit dem Empfang seiner Patienten betraut war, stiehlt dem im Wartezimmer K.3
sitzenden L. einen Überzieher, den dieser im Korridor aufgehängt hatte. Hier ist das Ver-
schulden des J. dem K. nur zuzurechnen, wenn K. nach Lage des Falls verpflichtet war,
irgendwie für die Garderobe der wartenden Patienten zu sorgen; denn nur in diesem Fall
hatte K. sich des J. zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber L. bedient. 3. M. speist
im Restaurant N.# zu Nacht; ein Kellner N.#, O., der aber nicht an N.##Tisch zu be-
dienen hat, gießt ihm aus Ungeschicklichkeit im Vorbeigehn den Inhalt eines Suppentellers
auf den Rock. Hier wird dies Verschulden O.s dem N. nicht zugerechnet; denn N. hatte den
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