Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

308 Buch I. Abschnitt 5. Verschulden und Zufall. 
O. gar nicht zur Bedienung des M. verwendet; sonach ist das Versehn O.s zwar bei der 
Erfüllung einer Verbindlichkeit des N., aber nicht gerade bei der Erfüllung einer Verbind- 
lichkeit des N. gegenüber dem M. vorgekommen. Richtig ist allerdings, daß N. gegenüber 
dem M. unter anderm auch verpflichtet war, dafür Sorge zu tragen, daß ihm in dem 
Restaurant kein Unfall zustoße; ich bestreite aber, daß N. mit der Erfüllung dieser seiner 
Verbindlichkeit alle seine Kellner betraut hatte oder hätte betraun müssen, sondern meine, 
daß auch diese Fürsorge nur dem einen Kellner übertragen war, der an M.8 Tisch zu ser- 
vieren hatte. Man vergleiche dazu die strengere Vorschrift des Handelsgesetzbuchs, die den 
Frachtführer für jedes Verschulden „seiner Leute“ haften läßt (HGB. 431). III. 1. Der 
zwanzigjährige von P. bevormundete Q. hat ein Schneidergeschäft geerbt; P. leitet das Ge- 
schäft persönlich, obschon er von der Schneiderei viel weniger versteht als sein Mündel; so 
kommt es, daß ein Anzug, den R. zur Abänderung in das Geschäft gebracht hat, total ver- 
dorben wird, weil P. gegen den ausdrücklichen Widerspruch des O. dem mit der Arbeit be- 
trauten Gesellen verkehrte Anweisungen gegeben hat. Hier wird die Torheit des P. dem 
QO. zugerechnet. 2. In eben diesem Geschäft macht sich der Lehrling S., der den abge- 
änderten Anzug dem R. bringen soll, in seinem Tatendrang eigenmächtig daran, den Anzug 
nochmals aufzubügeln, und verdirbt ihn dabei noch mehr. Hier kann diese Torheit des S. 
dem O. nicht zugerechnet werden. 
VI. Die bei einem konkreten Rechtsverhältnis beteiligten Parteien können 
das Maß der Sorgfalt, das sie gegenseitig beobachten sollen, vertragsmäßig 
strenger oder milder bestimmen, als das Gesetz es tut. Indes gibt es einige 
Ausnahmen von dieser Regel. Insbesondre kann einem Verpflichteten die 
Haftung für vorsätzliches Verschulden bei Erfüllung seiner Verpflichtungen 
nicht im voraus erlassen werden; doch gilt dies bloß für eignes vorsätzliches 
Verschulden, während die Haftung für das vorsätzliche Verschulden von Ver- 
tretern und Gehülfen (oben V, 1, 2) sehr wohl erlaßbar ist (276 II, 278 
Satz 2). 
2. Zufall. 1 
§ 72. 
I. Der im vorigen Paragraphen entwickelte Satz, daß die rechtliche 
Wirkung eines Verschuldens stets ein Rechtsnachteil für den Schuldigen ist, 
darf nicht dahin umgekehrt werden, daß demjenigen, dem ein Verschulden nicht 
zur Last fällt, aller und jeder Rechtsnachteil erspart bliebe. Vielmehr gibt es 
Rechtsregeln in Hülle und Fülle, die auch schuldlose Personen mit Rechts- 
nachteilen aller Art belasten. Man sagt alsdann, daß diese Personen rechtlich 
von einem Zufall (casus) betroffen werden. 
Beispiele. I. A. hat das Haus des B. fahrlässig in Brand gesteckt; B. kann demnach 
von A. und, da das Haus bei C. gegen Feuersgefahr versichert ist, auch von C. Schadens- 
ersatz fordern; unter dem Brande haben also A., C. und in der Zwischenzeit, bis ihm der 
Schadensersatz geleistet wird, auch B. zu leiden. Hier hat A. sein Leiden „verschuldet“, 
während es für B. und C. „zufällig“ entstanden ist. II. D. hat sein Haus dem E. ver- 
1) R. Merkel, Kollision rechtm. Interessen (95); E. Jung, Delikt und Schadensver- 
ursachung (96); M. Rümelin, Gründe der Schadenszurechnung (96); ders., Zufall im 
Recht (96).
	        
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