8 6. Geschichtliche Entwicklung des d. bürgerl. Rechts. 15
beider Gatten die Ehescheidung ihrer Willkür anheimgibt. II. Wie untätig und mutlos die
Gesetzgebung in der „historischen“ Periode war. geht besonders deutlich daraus hervor, daß
ein Staat wie Bayern nicht einmal den ernstlichen Versuch machte, die geradezu alberne
Rechtszersplitterung in seinem Gebiet zu beseitigen, sondern in München das bayrische Land-
recht von 1756, in Ansbach das preußische Landrecht, in Nürnberg das nürnberger, in
Marktredwitz das österreichische, in Kaiserslautern das französische Recht in Geltung beließ.
Ahnlich verfuhren Hannover, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg, Oldenburg, Nassau.
und die thüringischen Staaten. Dagegen verhielt Preußen sich sonderbar launenhaft: es
führte das preußische Landrecht in den 1814 neu erworbenen Landesteilen insoweit ein, als
sie zu den Provinzen Sachsen, Brandenburg, Westfalen (Naumburg, Jüterbogk, Arnsberg
usw.) geschlagen wurden, ließ dagegen in den neuen Gebieten Pommern und der Rhein-
provinz (Stralsund, Neuwied, Düsseldorf usw.) das bisherige römische und französische Recht
in Kraft. III. Charakteristisch für die vermittelnde Art des sächsischen Gesetzbuchs ist einer-
seits, daß es den Mut hat, nach dem Muster des code civil das römische Recht und alle
Statutarrechte in ganz Sachsen radikal zu beseitigen, andrerseits. daß es in „historischer"
Art mit ein wenig moderner Formulierung allerhand veraltete Kuriositäten teils römischen,
teils deutschen Ursprungs —, z. B. das römische mündliche Privattestament vor Zeugen,
die römischen Formen der Schenkung, die altdeutsche Sachsenbuße bei der Freiheitsberaubung,
den altdeutschen Satz: wer sät, der mäht — beibehält.
III. Neben dem Gesetzesrecht hat auch das Gewohnheitsrecht sich in der
Neuzeit weiter entwickelt. Doch steht es jetzt durchaus in zweiter Reihe. Es
ist vom Gesetzesrecht überflutet.
Beispiele neuer gewohnheitsrechtlicher Sätze finden sich namentlich mit Bezug auf
das Recht der Wertpapiere, die Verträge zugunsten Dritter, das Namensrecht.
IV. Der Rechtsstoff ist nach wie vor, seiner Herkunft gemäß, in einen
einheimischen und einen fremden zu scheiden.
1. Formell betrachtet hat das Fremdrecht in dieser Periode dadurch einen
ungeheuren Verlust erlitten, daß alle neueren deutschen Gesetzbücher, wie bereits
erwähnt, das römische Recht formell aufgehoben haben; damit war dessen
Geltung fortab auf die Gebiete beschränkt, die von diesen neueren Gesetz-
büchern unberührt geblieben waren. Andrerseits hat aber das Fremdrecht
erstaunlicherweise in eben dieser Periode auch einen großen Gewinn zu ver-
zeichnen. In ganz Westdeutschland ist nämlich das römische Recht nur da-
durch verdrängt, daß an seine Stelle nicht ein einheimisches, sondern das
französische Recht gesetzt wurde. Und dies französische Recht trat nicht so
bescheiden wie einst das römische mit dem Anspruch auf eine bloß subsidiäre
Geltung auf, sondern beseitigte alle bisher in Westdeutschland noch in Geltung
gebliebenen, vom römischen Recht verschonten Reste des alteinheimischen Rechts.
Seitdem zerfiel Deutschland, was die Sprache seiner hauptsächlichsten Rechts-
quellen anging, in drei große Gebiete, das Gebiet deutscher, das Gebiet
lateinischer, das Gebiet französischer Zunge.
Die Einführung des französischen Rechts in Westdeutschland fand im ersten Jahr-
zehnt des 19. Jahrh. statt, in den von Frankreich annektierten Gebieten durch Napolcon, in
einigen Rheinbundstaaten (Königreich Westfalen, Großherzogtum Baden, Frankfurt, Berg),
durch die dortigen Landesherrn; nach dem Sturz Napoleons ist das französische Recht nur
in einigen wenigen dieser Gebiete, z. B. in den zum Königreich Westfalen und Großherzog=
lum Frankfurt gehörigen Landesteilen abgeschafft und der frühere Rechtszustand hier wieder
hergestellt. — Die französischen Gesetze sind in Baden mit zahlreichen Anderungen in