§ 6. Geschichtliche Entwicklung des d. bürgerl. Rechts. 17
wie vom altdeutschen gleichmäßig abweichendes neues Recht; und selbstver-
ständlich ist auch dieses neue Recht, weil es bei uns und durch uns entstanden
ist, als einheimisches Recht anzusehn; minder ehrwürdig als das altdeutsche
Recht, dessen Wurzeln bis in das früheste Mittelalter zurückreichen, ist es des-
halb nicht minder deutsch.
Beispiele. I. Von Instituten des älteren deutschen Rechts sind in dieser Periode bis
auf kleine Reste oder ganz verschwunden: die Lehen, die Erb= und Stammgüter, die Bei-
spruchs= und Näherrechte, die Gutsherrlichkeit, die Allmendeverhältnisse, die Bann= und
Zwangsrechte, die Geschlechtsvormundschaft, die Einkindschaft usw. II. 1. Das preußische
Landrecht hat teils bewußt, teils unbewußt auf ältere deutsche Anschauungen zurückgegriffen,
indem es beim Tode eines Kindes den Eltern das alleinige gesetzliche Erbrecht (mit Aus-
schluß der Geschwister des Kindes) zusprach, indem es beim Kauf die Gefahr der Ware erst
mit der Übergabe auf den Käufer übergehen ließ, indem es bei beweglichen Sachen ein
Pfandrecht nur als Faustpfandrecht anerkannte, indem es auch Kinder und Geisteskranke für
den von ihnen angerichteten Schaden haftbar machte, indem es dem Erben die Erbschaft auch
ohne Antritt kraft Gesetzes übertrug usw. 2. Neudeutsch ist das moderne Grundbuch-
recht, das moderne Urheberrecht usw.
V. 1. Die Rechtszersplitterung ist in dieser Zeit noch größer geworden
als vorher. Erstlich war ja ein neues Fremdrecht, das französische, zu den
bisherigen Rechten hinzugekommen. Sodann war durch die Abschaffung des
römischen Rechts in einem großen Teil Deutschlands das einzige privatrechtliche
Band, das bis dahin alle deutschen Territorien zusammengehalten hatte,
zerschnitten. Endlich war in sämtlichen Territorien die Gesetzgebungsmaschine
tätig und schuf immer neue Rechtsverschiedenheiten.
Die Rechtszersplitterung war tatsächlich viel größer als die oben S. 16 gegebene
Tabelle auch nur ahnen läßt. Beispiele: I. Das preußische Landrechtsgebiet zerfiel zunächst
in eine preußische und eine bayrische Provinz: dort galten neben dem Landrecht neupreußische,
hier neubayrische Gesetze. Sodann war die preußische Provinz wieder in zahlreiche Kreise
zu zerlegen; in Ostpreußen und Westfalen galt z. B. zwischen Ehegatten allgemeine Güter-
gemeinschaft, in Schlesien und Sachsen Verwaltungsgemeinschaft, in Berlin galt statt der
landrechtlichen die römische gesetzliche Erbfolge usp. II. Ingleichen bot das römischrechtliche
Gebiet ein Bild buntester Mannigfaltigkeit. So bildeten z. B. in Hannover, selbst wenn
man von den Gebieten des preußischen Landrechts absieht, die altwelfischen Lande, die Städte
Lüneburg, Stade, Celle, die Landschaften Hadeln, Kehdingen, Wursten, die Bistümer
Hildesheim und Osnabrück, die Herzogtümer Bremen und Verden, die Grasschaft Bentheim usw.
eigne kleine Rechtsgebiete.
2. Andrerseits waren auch Spuren der Besserung vorhanden. Schon
in der Zeit des deutschen Bundes wurden wichtige Teile des bürgerlichen
Rechts (Urheber-, Wechsel-, Handelsrecht) für ganz Deutschland einheitlich geregelt.
Nach der Gründung des deutschen Reichs wurde die Rechtseinheit noch auf
weitere Gebiete (Eheschließungs-, Konkursrecht usw.) ausgedehnt. Baden,
Wüttemberg und Sachsen endlich hatten wenigstens für ihr engeres Gebiet
der Rechtszersplitterung ein Ende gemacht.
VI. Die wissenschaftliche Literatur hat sich in der Neuzeit aufs reichste entfaltet.1
Eine Übersicht ihrer Entwicklung soll hier nicht versucht werden. Nur sei erwähnt, daß in
Deutschland die Haupwertreter des Naturrechts Thomasius (7 1728) und Kant (t. 1804),
der historischen Schule Savigny (k 1861) und Eichhorn ( 1854) gewesen sind.
1) Landsberg, Gesch. d. D. Rechtswissenschaft (98).
Kosead, Vargerl. Recht. ö. Aufl. L 2