338 Buch I. Abschnitt 5. Rückblick auf das bisherige Recht.
2. a) Schon im Mittelalter galt die Regel, daß gewisse Rechte verloren
gehn, wenn der Berechtigte sie nicht binnen bestimmter Frist ausübt; man
sagte alsdann, der Berechtigte habe sich an seinem Recht verschwiegen. Die
Frist betrug meistens Jahr und Tag; der Regel nach wurde sie nur durch
eine formelle Ausübung des Rechts, z. B. durch eine Erklärung vor Gericht,
unterbrochen; gegen Minderjährige und solche Personen, die durch „echte Not“
an der Ausübung ihres Rechts verhindert waren, lief die Frist nicht. Doch
galt die Verschweigung nur für einzelne, freilich sehr wichtige Rechtsverhältnisse,
namentlich für die Erbfolge in Lehen, die Beispruchs= und Näherrechte, manche
Schuldforderungen; allgemein gültig war sie nicht. Sie erschien in zwei Haupt-
formen. Die eine Form setzte ein gerichtliches Aufgebot voraus; das Gericht
oder eine andre zuständige Behörde mußte die Beteiligten ausdrücklich öffent-
lich auffordern, ihre etwaigen Rechte binnen der Verschweigungsfrist geltend
zu machen; regelmäßig wurden die Beteiligten dabei auf die Gefahr der Ver-
schweigung besonders hingewiesen: es wurde ihnen bei Versäumnis der Frist
der Ausschluß ihrer Rechte angedroht; diese Form wurde namentlich bei der
Auflassung von Grundstücken angewendet. Die zweite Form schrieb eine der-
artige öffentliche Aufforderung der Beteiligten nicht vor; hier trat die Ver-
schweigung von Rechts wegen ein.3
b) Seit der Rezeption ist die Verschweigung (bis auf einige Überreste,
die sich z. B. im Lehnrecht finden) allmählich verschwunden. Die erste der
oben genannten Formen ist durch das neuere Aufgebotsverfahren verdrängt;
dies ist von der Verschweigung vor allem deshalb zu trennen, weil es einen
anomalen Charakter trägt und nur in außerordentlichen Fällen Platz greift,
während das altdeutsche Aufgebot der Beteiligten selbst die gewöhnlichsten
Grundstücksveräußerungen begleitete. Die zweite Form der Verschweigung ist
dagegen durch die römische Klagverjährung verdrängt; diese unterscheidet sich
von der Verschweigung namentlich dadurch, daß sie, wenige Ausnahmen vor-
behalten, sämliche Rechte ergreift.
I) Die römische Klagverjährung stimmt im wesentlichen mit der Anspruchs-
verjährung des bürgerlichen Gesetzbuchs überein. Doch waren die meisten Ver-
jährungsfristen länger als die jetzigen; erst das preußische Landrecht, der code
civil und das preußische Gesetz vom 31. März 1838 hat sie abgekürzt.
3. a) In Anknüpfung an allgemeine Vorstellungen des mittelalterlichen deutschen und
einige nur für besondre Institute geltende Vorschriften des römischen Rechts hat zunächst
das kanonische Recht, schärfer und bestimmter aber ein jüngeres deutsches Gewohnheitgrecht
folgende Regel auegebildet: kann bewiesen werden, erstlich, daß im letzten Menschenalter ein
Recht tatsächlich dauernd ausgeübt worden ist, und zweitens, daß auch aus früherer Zeit
keine Nachricht vorliegt, wonach die Ausübung des Rechts damals unterblieben wäre, so hat
der angebliche Berechtigte den unvordenklichen Besitz für sich und es wird zu seinen
Gunsten vermutet, daß das Recht ihm wirklich zustehe. Diese Regel erinnert an das später
zu besprechende Institut der Ersitzung. Sie ist aber von ihm dadurch verschieden, daß sie
33) Heusler 2 S. 46, 86, 105; A. Schmidt, echte Not (88); Gierke, D. Pr . § 35 III.