Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 78. Selbsthülfe. Notangriffsrecht. 347 
b) Dadurch erklärt es sich, daß der Notangriff in engere Grenzen ge- 
schlossen ist als die Notwehr. Namentlich setzt er voraus, daß obrigkeitliche 
Hülfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Ferner darf er nicht von jedem be- 
liebigen Dritten ausgeübt werden, sondern nur von dem Berechtigten selber 
oder von seinen gesetzlichen oder mit gehöriger Vollmacht versehenen Ver- 
tretern. Endlich soll er nur ausnahmsweise einer wirklichen Ausübung des 
gefährdeten Rechts dienen, nämlich nur, wenn das Recht auf eine eigne, vom 
Verpflichteten zu duldende Handlung des Berechtigten geht. Im übrigen dient 
dagegen der Notangriff nur zur Sicherung des gefährdeten Rechts. Deshalb 
darf der Berechtigte die von ihm weggenommene Sache nicht ohne weiteres 
behalten, sondern er muß die Zwangsvollstreckung in die Sache betreiben 
oder den dinglichen Arrest darein erwirken; versäumt er dies oder wird der 
Arrestantrag abgelehnt, so muß er die Sache dem Gegner wieder heraus- 
geben. — Für den Fall der Verhaftung des Verpflichteten ist vorge- 
schrieben, daß der Verhaftete unverzüglich dem Gericht vorzuführen ist, in 
dessen Bezirk die Verhaftung erfolgte; auch ist unverzüglich die Anordnung 
des Personalarrestes gegen den Verhafteten zu beantragen; wird dies ver- 
säumt oder wird der Arrestantrag abgelehnt, so ist der Verhaftete sofort frei- 
zugeben (230). 
c) Im übrigen kommen die Regeln von der Notwehr auch hier zur An- 
wendung. Namentlich ist der Notangriff nur soweit gestattet, als er zur Be- 
seitigung der dem Berechtigten drohenden Gefahr erforderlich ist. Ferner ge- 
nügt es, daß der Verpflichtete, gegen den der Angriff geht, objektiv im Unrecht 
ist, während ein subjektives Verschulden auf seiten des Verpflichteten nicht vor- 
ausgesetzt wird. Ferner: es schadet nichts, wenn der Berechtigte seine Notlage 
selber verschuldet hat?' usw. 
Beispiele. I. A. faßt den B. ab, wie er von seinem Baum Pflaumen stiehlt. Hier 
kann er den B., wenn er ihn nicht kennt, zwar nicht durch Notwehr (s. oben S. 345 Abs. 
1 Fall IV), wohl aber durch Notangriff solange festhalten, bis seine Identität festgestellt 
wird; denn nur dadurch kann er es hindern, daß sein Schadensersatzanspruch gegen B. wegen 
Unbekanntheit des Schuldners allen Wert verliert. Er muß aber den B., wenn seine Iden- 
tität nicht alsbald festgestellt wird, unverzüglich dem Gericht vorführen. II. C. ist dem 
D., der Silbersachen bei ihm gestohlen hat, auf der Spur und entdeckt ihn in dem Augen- 
blick, wie er die Sachen einschmelzen will. Hier kann er ihm die Sachen zwar nicht durch 
Notwehr, wohl aber durch Notangriff wegnehmen; denn nur dadurch kann er sich den Be- 
weis des Diebstahls und die Möglichkeit der Rückgabe der Sachen sichern. Er muß aber 
wegen dieser ihm selbst gehörigen Sachen unverzüglich den Erlaß des dinglichen Arrests 
bei Gericht beantragen. 
4. a) Ein Besitzer, der durch verbotene Eigenmacht in seinem Besitz ge- 
stört oder aus seinem Besitz gedrängt ist, kann die Störung gewaltsam zurück- 
weisen und den geraubten Besitz gewaltsam zurückerorbern. Gleichgültig ist, ob 
Gefahr im Verzuge und obrigkeitliche Hülfe nicht zu erlangen ist. Das Recht 
  
7) Endemann, 1 8§ 85 à? 7.
	        
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