Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 84. Alternativobligationen. 361 
a) Welche Partei die Auswahl unter den mehreren Leistungen zu treffen 
hat, ist dem Rechtsgeschäft selbst zu entnehmen. Schweigt das Rechtsgeschäft, 
so ist wahlberechtigt im Zweifel der Schuldner (262). 
Beispiel. A. hat dem B. in notarieller Urkunde auf die Zeit von 10 Jahren die jähr- 
liche Zahlung einer Rente von 600 Mk. oder freie Verpflegung in seinem Haushalt zugesagt. 
Hier steht die Wahl zwischen der Geldunterstützung und der Naturalverpflegung bei dem 
Schuldner A. Hätte die Wahl dem Gläubiger B. übertragen werden sollen, so hätte A. 
dies besonders aussprechen müssen. 
Die Regel zu a ist auch bei gegenseitigen Verträgen anwendbar, sofern die Leistung 
der einen Partei der einzige oder doch der überwiegende Gegenstand des Wahlrechts ist. 
Anders dagegen, wenn das Wahlrecht gleichmäßig die Leistungen beider Parteien betrifft: 
alsdann ist die Regel zu a unanwendbar, da hier jede Partei als Schuldner in Betracht 
kommt und sonach eine jede nach der Regel zu a das Wahlrecht für sich in Anspruch nehmen 
könnte; in einem solchen Fall kann also nur mit freier Auslegung des Vertrages geholfen 
werden. — Beispiele. I. Der Koch A. hat für B. die Herstellung eines Diners auf Grund 
eines Menus übernommen, dessen zweiter Gang lautete: Forellen oder Steinbutt. Hier 
steht das Wahlrecht zwischen beiden Fischen, wenn nichts andres vereinbart ist, nach der Regel 
zu a dem Schuldner A. zu. II. Anders, wenn die Vereinbarung lautete: „werden Forellen 
gereicht, so kostet das Gedeck eine Mark mehr“, weil alsdann die Wahl nicht nur die Liefe- 
rungsschuld A., sondern auch die Zahlungsschuld B.s betrifft. Hier hat also die Auslegung 
freie Hand. Die Entscheidung wird sonach wohl zugunsten des B. ausfallen. 
b) Der Wahlberechtigte, gleichgültig, ob es der Schuldner oder der 
Gläubiger ist, darf seine Wahl rein egoistisch, rein willkürlich treffen. Dem 
Gegner steht eine Kritik der getroffenen Entscheidung nicht zu. 
I) Eine feste Frist für die Ausübung des Wahlrechts besteht nicht. 
a) Demnach darf der Gläubiger, solange der wahlberechtigte Schuldner 
nicht gewählt hat, ihn nur alternativ auf eine der mehreren Leistungen ver- 
klagen, und auch das Urteil darf nur alternativ gefaßt werden. Wenn es zur 
Zwangsvollstreckung kommt, kann der Gläubiger freilich nach eigner Wahl die 
Vollstreckung auf eine einzige der Leistungen richten; aber auch jetzt kann der 
Schuldner noch eine der andern Leistungen gültig wählen, muß sich dann 
freilich zu deren sofortiger Vollziehung durch die Tat anbieten. Erst wenn 
der Gläubiger die von ihm selber gewählte Leistung durch die Zwangsvoll- 
streckung wenigstens zum Teil tatsächlich beigetrieben hat, erlischt das Wahl- 
recht des Schuldners endgültig (264 1). 
69) Auch dem wahlberechtigten Gläubiger ist für sein Wahlrecht keine feste 
Frist gesetzt; erst wenn er in Verzug geraten, kann der Schuldner ihm eine 
angemessene Frist zur Vornahme der Wahl stellen; läßt der Gläubiger die 
Frist verstreichen, so geht das Wahlrecht auf den Schuldner über (264 II). 
Beispiele. I. A. ist dem B. alternativ nach eigner Wahl eins von zwei in seinem Be- 
sitz befindlichen Gemälden schuldig; er ist demgemäß rechtskräftig verurteilt, dem B. eins der 
beiden Bilder zuzusenden; da er noch immer renitent bleibt, erscheint der Gerichtsvollzieher 
bei ihm, um im Auftrage B.s das größere Bild gewaltsam fortzunehmen. Hier ist A. noch 
jetzt befugt, das kleinere Bild zu leisten, sofern es ihm gelingt, das größere Bild so lange 
vor dem Gerichtsvollzieher zu verstecken, bis das kleinere Bild glücklich bei B. angekommen 
ist. II. C. hat dem D. nach dessen Wahl für ein Diner am Donnerstag Forellen oder Stein-
	        
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