364 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen.
2. Zweiter Fall: das Rechtsgeschäft legt einer Partei die Verpflichtung
zur Leistung einer Sache aus einer genau bestimmten Gattung ob (sog.
Gattungsobligation); auf welches einzelne Stück der Gattung die Ver-
pflichtung sich später endgültig richten soll, hat entweder der Schuldner oder
der Gläubiger zu entscheiden. Die zu liefernde Sache wird meist vertretbar
sein; möglich ist aber, daß eine Gattungsobligation auch mit Bezug auf un-
vertretbare Sachen begründet wird (s. oben S. 128).
a) Welche Partei die Auswahl des einzelnen aus der bestimmten Gattung
zu liefernden Stücks zu treffen hat, ist dem Rechtsgeschäft selbst zu entnehmen.
Schweigt das Rechtsgeschäft, so steht das Wahlrecht, wie bei der Alternativ-
obligation, im Zweifel dem Schuldner zu (s. 243 1).
Beispiel. A. hat sich bei B. ein gebundenes Exemplar eines bestimmten Romans be-
stellt und erhält eins, dessen Einband einen kleinen Fehler hat; zufällig erfährt er, daß B.
dies Exemplar absichtlich für ihn ausgesucht hat, weil er, A., es in solchen Dingen nicht
genau nehme; darüber ärgert sich A. und verlangt Umtausch des Exemplars gegen ein andres
besseres. Hier ist A. im Unrecht, wenn das von B. ausgewählte Exemplar trotz des Fehlers
noch von „mittlerer" Art und Güte war; denn alsdann war das Exemplar, wie zu b zu
zeigen, lieferbar, und die Auswahl unter den verschiedenen lieferbaren Exemplaren stand ja
dem „Schuldner“, d. h. hier dem B. zu.
b) Der Schuldner darf die Wahl willkürlich treffen, jedoch mit der Maß-
gabe, daß die von ihm ausgewählte Sache von mittlerer Art und Güte sein
muß (243 1; s. aber auch 2155).
Beispiele. I. Siehe das Beispiel oben zu a. II. Der Weinhändler C. in Trier hat
sich gegenüber seinem Gläubiger, dem Gastwirt D. in Gnesen, verpflichtet, ihm zur all-
mählichen Abtragung einer alten Schuld alljährlich 1000 Flaschen Moselwein zu liefern;
C. führt in seinem Geschäft Moselwein im Preise von 0,60 bis zu 8 Mk. die Flasche. Hier
muß D. Wein im Wert von etwa 1,20 Mk. die Flasche liefern: denn unter Moselwein von
„mittlerer“ Art und Güte versteht man, wenn der Wein in Flaschen nach auswärts zu
senden ist, einen Wein in dieser Preislage.
c) Der Schuldner darf seine Wahl frühestens treffen, wenn er zur
Lieferung der Sache berechtigt, er soll sie spätestens treffen, wenn er zur
Lieferung der Sache verpflichtet ist. Doch verliert er sein Wahlrecht durch
eine Verzögerung der Wahl nicht, behält es vielmehr, wie bei der Alternativ-
obligation, so lange, bis der Gläubiger sich eine zur Gattung gehörige Sache
im Wege der Zwangsvollstreckung tatsächlich von ihm beschafft hat.
Beispiel s. unten zu e.
d) Hat der Schuldner gewählt, so ist die gewählte Einzelsache von nun
ab allein geschuldet und demgemäß die Forderung des Gläubigers nunmehr
auf diese Sache „konzentriert“: aus der Gattungsobligation ist eine Spezies-
obligation geworden.
e) Anders als bei der Alternativobligation geschieht die Wahl nicht durch
eine bloße Willenserklärung des Wahlberechtigten, sondern dadurch, daß der
Schuldner die von ihm ausgewählte Sache tatsächlich leistet oder wenigstens
alles tut, was von seiner Seite aus zur Leistung der Sache erforderlich ist