Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

372 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
Erhebt eine Partei, die aus einem gegenseitigen Vertrage auf die ihr obliegende Leistung 
verklagt wird, die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, so stellt sich die Beweislast wie folgt. 
I. Der Beklagte muß zur Begründung der Einrede dartun, daß die eingeklagte Forderung 
auf einem „gegenseitigen“ Vertrage beruhe; tatsächlich wird dieser Beweis übrigens zumeist 
entbehrlich sein, da schon der eigne Vortrag des Klägers ergeben wird, daß sein Anspruch 
sich auf einen gegenseitigen Vertrag gründet. II. Der Beklagte muß ferner die Art und 
den Umfang der Gegenleistung beweisen. III. Behauptet dagegen der Kläger, daß er die 
Gegenleistung bereits bewirkt habe, so ist es seine Sache, hierfür den Beweis zu liefern. 
Die Leistung „Zug um Zug“ macht im Rechtsleben tatsächlich oft die allergrößten 
Schwierigkeiten. — Beispiele. I. A. in M. hat dem B. in N. eine Sache unter der Abrede ver- 
kauft, daß er sie dem B. frei zuzusenden hat. Hier braucht B. nicht eher zu zahlen, als bis ihm 
die Sache in N. derart übergeben wird, daß er ihre ordnungsmäßige Beschaffenheit prüfen kann. 
Wollen also beide Parteien auf der Leistung Zug um Zug bestehn, so muß A. die Sache 
nach N. an einen Vertrauensmann senden, der sie dem B. unverpackt vorzeigt und gegen 
Auszahlung des Kaufpreises aushändigt. II. C. und D. haben einen Tauschvertrag über 
zwei Häuser geschlossen, von denen das eine in O., das andre in P. belegen ist. Hier ist 
eine Erfüllung der beiderseitigen Verpflichtungen Zug um Zug unmöglich, wenn O. und P. 
zu verschiedenen Grundbuchämtern gehören; denn selbst wenn man die beiden zuständigen 
Grundbuchämter telephonisch miteinander verbindet, wird ein Austausch der beiden Über- 
eignungserklärungen Zug um Zug sich kaum bewerkstelligen lassen. 
b) Kann bei einem vollkommen zweiseitigen Schuldverhältnis jede Partei 
ihre eigne Leistung so lange verweigern, als nicht Zug um Zug die andre 
Partei die Gegenleistung bewirkt, so hat sie das nämliche Recht auch dann, 
wenn die andre Partei die Gegenleistung zwar Zug um Zug bewirkt, aber 
nur unvollständig oder nur mangelhaft (exceptio non rite adimpleti con- 
tractus). Doch gilt eine Ausnahme, wenn die erstere Partei die unvoll- 
ständige Leistung der Gegenpartei tatsächlich angenommen hat: alsdann darf 
sie nämlich die eigne Leistung insoweit nicht verweigern, „als die Verweigerung 
nach den Umständen, insbesondre wegen verhältnismäßiger Geringfügigkeit des 
rückständigen Teils, gegen Treu und Glauben verstoßen würde“ (320 II); der 
Regel nach wird sie also in einem solchen Fall, wenn ihre eigne Leistung teil- 
bar ist, wenigstens einen verhältnismäßigen Teil sofort entrichten müssen und 
nur die Leistung des Rests einstweilen verweigern dürfen. Eine analoge Aus- 
nahme wird auch dann gelten, wenn die Leistung der Gegenpartei nicht un- 
vollständig, sondern mangelhaft ist: bei verhältnismäßig geringfügigen Mängeln 
darf also der Empfänger der Leistung die eigne Leistung gleichfalls nicht ganz, 
sondern nur zu einem verhältnismäßigen Teil verweigern.“ 
Beispiele. I. A. hat bei B. 200 Flaschen Rheinwein bestellt; B. liefert nur 198 Flaschen. 
Hier braucht A. die 198 Flaschen nicht anzunehmen; nimmt er sie aber an, so muß er sie 
auch gleich bezahlen und darf die Zahlung nicht bis zur Nachlieferung der fehlenden Flaschen 
verschieben. II. C. hat sich von D. malen lassen; nach Abnahme des Bildes zeigt sich ein 
kleiner Fehler daran, den D. krankheitshalber nicht sofort beseitigen kann. Hier darf C. die 
Bezahlung des bedungenen Honorars nicht verweigern, bis D. wieder gesund wird, sondern 
muß sofort zahlen und darf nur so viel abziehn, als für die Beseitigung des Fehlers durch 
einen andern Maler zu zahlen wäre. 
Die zuletzt genannte Ausnahme fällt aber fort, wenn und solange der Empfänger der 
mangelhaften Leistung den Vertrag um des Mangels willen wandeln oder eine neue mangel- 
4) Endemann 1 § 125 22. Abw. die 4. Aufl. d. Buchs 1 S. 3197,
	        
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