Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 86. Einrede des nicht erfüllten Vertrages. Vorleistung. 373 
freie Leistung fordern kann: solange ihm das eine oder das andre Recht zusteht, kann er 
die eigne Leistung wegen jenes Mangels vollständig verweigern. 
c) Dringt der Beklagte mit der Einrede des nicht erfüllten oder des 
unvollständig oder mangelhaft erfüllten Vertrages durch, so wird nicht etwa 
die Klage abgewiesen, sondern der Beklagte wird nunmehr zur Erfüllung Zug 
um Zug gegen die vom Kläger zu bewirkende Leistung verurteilt (322 1). Ein 
derartiges Urteil kann vom Kläger zwangsweise vollstreckt werden, aber natür- 
lich nur so, wie es lautet, also nur in der Art, daß der zur Vollstreckung 
schreitende Kläger seine Gegenleistung, so wie sie im Urteil bezeichnet ist, dem 
Beklagten anbietet (ZPO. 726 II, 756, 765). Der Beklagte kann dagegen 
zur Zwangsvollstreckung wegen der Gegenleistung nicht schreiten; will auch er 
einen vollstreckkaren Titel erlangen, so muß er außer der Einrede des nicht 
erfüllten Vertrages auch noch eine Klage oder Widerklage wegen der Gegen- 
leistung erheben. 
d) Die bisher entwickelten Regeln gelten nicht ausnahmslos. Vielmehr 
kann bei Abschluß eines gegenseitigen Vertrages vereinbart werden, daß Leistung 
und Gegenleistung nicht Zug um Zug zu bewirken seien, sondern daß eine 
Partei vorzuleisten habe. Diese Partei ist alsdann nicht berechtigt, ihre 
Leistung wegen fehlender, unvollständiger oder mangelhafter Gegenleistung der 
andern Partei zu verweigern, sondern muß ihre Leistung bewirken, als schulde 
sie diese aus einem einseitigen Schuldverhältnis. Nur wenn nach dem Ab- 
schluß des Vertrages in den Vermögensverhältnissen der andern Partei eine 
wesentliche Verschlechterung eintritt, durch die der Anspruch auf die Gegen- 
leistung gefährdet wird, kann die zur Vorleistung verpflichtete Partei die Vor- 
leistung ablehnen, es sei denn, daß die andre Partei Sicherheit bestellt (321).5 
Die Vorleistungspflicht ist von der Partei, die sie behauptet, zu beweisen. 
Das Recht, die Vorleistung zu verweigern, gilt nur, wenn die Gegenpartei wirklich 
erst nachträglich in gefährliche Verhältnisse gerät; es genügt also nicht, daß die vorleistungs- 
pflichtige Partei nachträglich erfährt, daß die Gegenpartei schon zur Zeit des Geschäftsab- 
schlusses in jenen gefährlichen Verhältnissen war. Wohl aber genügt es, wenn die Verhält- 
nisse der Gegenpartei schon zur Zeit des Geschäftsabschlusses schlecht waren und sich seitdem 
noch mehr verschlechtert haben. 
Wenn die vorleistungspflichtige Partei ihre Vorleistung tatsächlich nicht bewirkt und 
inzwischen der Termin herangekommen ist, zu dem auch die Gegenpartei ihre Leistung zu 
bewirken hat (A. hatte z. B. das dem F. verkaufte Pferd am 1. März zu liefern, F. hatte 
es am 1. April zu bezahlen, das Pferd ist tatsächlich am 1. April noch nicht geliefert), ist die 
Vorleistungspflicht als solche beseitigt: beide Teile können jetzt sofortige Leistung fordern. 
Doch zeigt sich die ursprüngliche Vorleistungspflicht der einen Partei auch jetzt noch darin 
wirksam, daß diese Partei, wenn sie auf ihre Leistung belangt wird, trotz der noch aus- 
stehenden nunmehr fälligen Gegenleistung der andern Partei weder die Einrede des nicht 
erfüllten Vertrages noch die weiter unten zu erwähnende Einrede des Zurückbehaltungsrechts 
erheben kann; vielmehr muß sie, was sie zu leisten hat, einseitig leisten und hat wegen der 
Gegenleistung nur ein Klagerecht. 
5) Fritze, Arch. f. BR. 17 S. 20; Regelsberger, Jahrb. f. Dogm. 40 S. 451; RG. 
53 S. 64, 54 S. 356. 
6) Abw. Düringer-Hachenburg, Kommentar z. HG. 2 S. 101.
	        
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