Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

374 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
e) Besondre Regeln gelten für einzelne Vertragsarten, namentlich für den 
Miet= und Dienstvertrag. Darüber siehe unten in den diesen Verträgen ge- 
widmeten Paragraphen. 
2. Bei unvollkommen zweiseitigen Schuldverhältnissen besteht eine allge- 
meine Regel, daß Leistung und Gegenleistung Zug um Zug auszutauschen 
seien, nicht. Es kommt hier vielmehr darauf an, für jedes Schuldverhältnis 
selbständig zu prüfen, wann die eine und wann die andre Leistung fällig wird. 
Und erst, wenn festgestellt ist, daß alle beide Leistungen fällig sind, greift auch 
hier die Regel ein: jede Partei kann ihre Leistung so lange verweigern, bis die 
andre Partei Zug um Zug ihre Gegenleistung bewirkt (273 1).7 
a) Auch dieses Recht ist durch Einrede geltend zu machen. Das Gesetz 
spricht hier von der Einrede des Zurückbehaltungsrechts.“ 
Erhebt der Beklagte die Einrede des Zurückbehaltungsrechts, so muß er dartun, daß 
der Kläger aus einem zweiseitigen Schuldverhältnisse klage und daß aus ebendiesem Schuld- 
verhältnis ihm, dem Beklagten, ein fälliger Anspruch auf eine Gegenleistung zustehe. Denn 
nicht wegen jeder Leistung, die der Beklagte vom Kläger fordern kann, darf er seine eigne 
Leistung zurückhalten, sondern nur wegen einer „konnexen“, d. h. eben einer auf dem gleichen 
zweiseitigen Schuldverhältnis beruhenden Leistung.? Behauptet der Kläger, bereits geleistet 
zu haben, was ihm obliegt, so muß er dies beweisen. 
b) Hat der Kläger seine Leistung unvollständig oder mangelhaft gemacht, 
so gelten die gleichen Regeln wie bei gegenseitigen Verträgen. 
J) Dringt der Beklagte mit seiner Einrede durch, so wird die Klage nicht 
abgewiesen, sondern der Beklagte wird, wie bei der Einrede des nicht erfüllten 
Vertrages, zur Leistung Zug um Zug verurteilt (274 1). 
d) Ein wichtiger Unterschied zwischen der Einrede des nicht erfüllten Ver- 
trages und der Einrede des Zurückbehaltungsrechts ist, daß der Kläger letztere 
Einrede durch Sicherstellung beseitigen kann, wobei nur die Sicherstellung durch 
Bürgen ausgeschlossen ist (273 III). Damit kann der Kläger namentlich in 
solchen Fällen eine Abkürzung des Prozesses erzielen, in denen er die vom Be- 
klagten geforderte Gegenleistung nach Art oder Umfang bestreitet; denn in dem 
Augenblick, da der Kläger alles, was er selber leisten soll, sicherstellt, steht 
einer Verurteilung des Beklagten zu sofortiger einseitiger Leistung nichts mehr 
im Wege. Die ganze Einrede soll also dem Beklagten nicht, wie die Einrede 
des nichterfüllten Vertrages, den Vorteil verschaffen, daß er, sobald er selber 
leistet, auch in den Genuß der Gegenleistung tritt, sondern sie soll ihn bloß vor 
der Gefahr schützen, daß, während er selber leistet, der Kläger sich seiner Gegen- 
leistung dauernd entzieht. 
e) Auch die vorstehend entwickelten Sätze müssen sich Ausnahmen ge- 
fallen lassen. Durch besondre Vereinbarung oder gesetzliche Sonderregeln wird 
7) RG. 57 S. 6. 
8) Schönenberg, Voraussetzungen des Retentionsrechts (Diss. 01); Schlegelberger, 
Zurückbehaltungsrecht (04); Breuer, Zurückbehaltungsrecht (Diss. 04); Rech, das Rechts- 
verhältnis (Diss. 04). 
9) RG. 54 S. 239, 59 S. 201.
	        
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