Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 91. Schadensersatz. Verschulden des Geschädigten. 387 
wenn bei der Entstehung des Schadens der Geschädigte selber mitgewirkt 
hat (254).7 
a) Die Mitwirkung des Geschädigten kann eine positive, sie mag aber 
auch bloß negativer Art gewesen sein; ein Hauptfall ist der, daß der Ge- 
schädigte es unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich 
hohen Schadens aufmerksam zu machen, obschon der Schuldner die Gefahr 
weder kannte noch kennen mußte, oder daß er es unterlassen hat, den Schaden 
abzuwenden oder zu mindern. 
b) Der Ersatzanspruch ist nur „je nach den Umständen“ ausgeschlossen, 
also namentlich dann, wenn das Verschulden des Geschädigten das des Gegners 
überwogen hat. Häufig wird auch der Ersatzanspruch nicht vollständig weg- 
fallen, sondern nur ermäßigt werden, namentlich dann, wenn das Verschulden 
des Geschädigten den Schaden nicht verursacht, sondern nur vergrößert hat. 
c) Die Mitwirkung des Geschädigten muß eine schuldhafte gewesen sein; 
doch soll dem Geschädigten auch ein Verschulden seines Gewalthabers oder 
eines Gehülfen, den er zur Pflege des geschädigten Guts bestellt hat, als 
eignes Verschulden zugerechnet werden. 
Beispiele. I. A. und B. fahren auf ihren Rädern gegeneinander, kommen zu Fall 
und werden schwer verletzt; beide haben fahrlässig gehandelt, A., weil er zu rasch gefahren, 
B., weil er falsch ausgewichen ist. Hier ist sowohl objektiv die Wucht, mit der ein jeder von 
ihnen auf den andern fuhr, wie subjektiv das Maß der Fahrlässigkeit, die einem jeden zur 
Last fällt, abzuschätzen. Das Ergebnis kann im Einzelfall sein: 1. die Ersatzpflicht beider 
wird glatt gegeneinander aufgehoben; 2. es ergibt sich zu Lasten des A. oder des B. noch 
ein kleines Plus, so daß A. dem B. oder B. dem A. wenigstens einen Teil des Schadens 
ersetzen muß; 3. die Ersatzpflicht des A. oder des B. bleibt in vollem Umfang bestehn. 
II. C. gibt dem D. einen Kupferstich zum Einrahmen; der Stich geht bei D. durch dessen 
Unachtsamkeit verloren; nunmehr fordert C. von D. Schadensersatz in Höhe von 10000 Mk., 
da der Stich, eine künstlerische Rarität, tatsächlich soviel wert ist. Hier muß C. statt mit 
10000 sich vielleicht mit 100 Mk. begnügen, es sei denn, daß er den D. rechtzeitig auf den 
hohen Wert des Stichs aufmerksam gemacht hat. III. 1. E., der im nämlichen Hause, wie F., 
jedoch ein Stockwerk höher wohnt, verursacht dadurch eine Überschwemmung, daß er einen 
Hahn seiner Wasserleitung zu schließen vergißt; das Wasser dringt auch in die Wohnung 
des F.; F. bemerkt den Unfall, tut aber nichts, um den Schaden abzuwenden; insbesondre 
macht er weder eine Anzeige an E. noch an die Polizei. Hier braucht E. nur den Teil 
des in F.s Wohnung angerichteten Schadens zu ersetzen, der von F. nicht abgewendet werden 
konnte. 2. Dieselbe Entscheidung ist zu fällen, wenn nicht F. persönlich, sondern nur seine Dienst- 
boten oder seine Ehefrau oder seine erwachsenen zu seinem Hausstande gehörigen Kinder den 
Unfall bemerkt haben. 3. Dagegen hätte es auf die Schadensersatzpflicht E.s keinen Ein- 
fluß, wenn der Unfall nur zur Kenntnis des Kutschers F.s, der sich bloß zufällig in der 
Wohnung seines Herrn befand, oder einer verheirateten Tochter F.8, die sich bloß besuchsweise 
in der Wohnung ihres Vaters aufhielt, gelangt wäre. 
Schließt man sich der oben zu IV, 1b entwickelten Billigkeitstheorie an, so ist die 
Regel zu 2. überflüssig, weil sie sich nach dieser Theorie von selbst versteht. Ja man wird 
7) RG. 59 S. 221; 60 S. 152; 62 S. 108, 212, 348; Cohn bei Gruchot 43 S. 96. 
8) Gottschalk, das mitwirkende Verschulden des Beschädigten (03); Schröder, Arch. f. 
ziv. Pr. 95 S. 298; RG. 55 S. 321, 332; 65 S. 17. 
9) R. 53 S. 399. 
25“
	        
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