§ 99. Unmöglichkeit der Leistung bei gegenseitigen Verträgen. 405
zu vertreten, so ist von einem Wahlrecht dieses Gläubigers selbstverständlich
nicht die Rede. Vielmehr bleibt er ungeachtet dessen, daß er von der Gegen-
partei weder die Vornahme der unmöglichen Leistung noch irgendeinen Schadens-
ersatz fordern kann, zu der ihm selber obliegenden Gegenleistung nach wie vor
verpflichtet. Doch wird ihm die Vergünstigung zu teil, daß er auf diese Gegen-
leistung alles anrechnen kann, was die Gegenpartei infolge der Befreiung von
ihrer eignen Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeits-
kraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt (324 D.
c) Ist endlich die Unmöglichkeit der Leistung weder von dem Leistungs-
schuldner noch von dem Leistungsgläubiger zu vertreten, so ist ein Wahlrecht
des Gläubigers gleichfalls nicht gegeben, sondern es kommt, wie einerseits
sein Anspruch auf die unmögliche Leistung und Schadensersatz, so andrerseits
der Anspruch der Gegenpartei auf die ihr gebührende Gegenleistung von Rechts-
wegen in Fortfall (323 1).
Beispiele. I. A. gibt am 29. Juni 09 einen Ball und hat zum Aufspielen beim Tanz
gegen ein Honorar von 10 Mk. den Lohnschreiber und Musikus B. bestellt; B. hat auch die
Bestellung angenommen, kann aber nicht kommen, so daß A. in aller Eile einen andern
Musikanten bestellen muß, der 15 Mk. Honorar fordert. Erster Fall: B. konnte nicht
kommen, weil er sich sinnlos betrunken hatte. Hier kann A. von B. Schadensersatz in Höhe
von 15—10 = 5 Mk. fordern oder vom Vertrage zurücktreten. 2. Zweiter Fall: B. konnte
nicht kommen, weil A. ihm das Tanzlokal falsch angegeben hatte; als er unverrichteter Sache
nach Hause kam, hat er sich mit Schreibereien befaßt und dafür 2 Mk. verdient. Hier kann
B. von A. 10—2 = 8 Mk. Honorar fordern. 3. Dritter Fall: B. konnte nicht kommen,
weil er plötzlich schuldlos erkrankte. Hier kann weder A. von B. noch B. von A. eine
Leistung beanspruchen. II. C. trägt den zu seinem Rappenviergespann gehörigen Talisman
dem D. zum Tausch gegen dessen Rappen Talbot an und erbietet sich dabei, obschon Tal-
bot denselben Wert wie jedes der vier Pferde des Viergespanns, nämlich 8000 Mk., hat, zu
einer Zuzahlung von 1000 Mk.; denn der Wert des Viergespanns im ganzen ist erheblich
höher als die Summe der Einzelwerte der dazu gehörigen Pferde, da er zurzeit nicht
4)03000, sondern 15000 Mk. beträgt und, wenn Talisman gegen Talbot ausgetauscht wird,
sogar auf 20000 Mk. steigen würde; D. nimmt das Angebot an; doch geht Talbot, noch
ehe das Tauschgeschäft zur Ausführung gelangt, durch Verschulden des D. ein. 1. Hier
kann C. bei seiner eignen Gegenleistung (Talisman + 1000 Mk.) verbleiben und Schadens-
ersatz wegen Nichterfüllung fordern; sein Schaden besteht darin, daß das Viergespann nun,
da Talisman ohne Ersatz aus ihm ausscheidet, nur einen Wert von 9000 Mk. (gleich der
Summe der Einzelwerte der drei bei C. zurückbleibenden Pferde) hat, während es bei Aus-
führung des Tauschgeschäfts 20000 Mk. wert gewesen sein würde. Ergebnis: C. gibt den
Talisman heraus, D. zahlt 10000 Mk. 2. C. kann aber auch von dem Vertrage zurück-
treten. Ergebnis: weder hat C. an D. noch D. an ihn etwas zu leisten. 3. Endlich kann
C. seine eigne Gegenleistung verweigern und dennoch Schadensersatz wegen Nichterfüllung
fordern, indem er den Wert seiner Gegenleistung (Talisman + 1000 Mk.) mit 4000 Mk.
auf die Schadensersatzsumme in Anrechnung bringt: alsdann bleibt sein Viergespann intakt
und behält einen Wert von 15000 Mk.; C.3 Schaden besteht somit aus dem Wert des
Talbot (3000 Mk.) und der ausbleibenden Wertsteigerung des Gespanns (5000 Mk.) Er-
gebnis: C. hat an D. nichts, D. hat an C. 3000 + 5000 — 3000 — 1000 = 4000 Mk. zu
leisten. III. Derselbe Fall wie zu II; nur hat C., sobald er von dem Unfall des Talbot
hörte, in seiner Erregung sofort den Talisman an D. geschickt und eine Rechnung über
10 000 Mk., wie oben zu II, 1 spezifiziert, gleich hinterhergesandt; D. hat den Talisman
vorbehaltlos angenommen, dagegen die Richtigkeit der Rechnung bemängelt; nachträglich be-
reut C. seine Voreiligkeit, weil er einsieht, daß es verkehrt war, durch Auslieferung des