Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

412 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
dem ersten und dritten Fall ganz, wenn der Partei, der gegenüber die Ver- 
fügung vorgenommen wurde, der Mangel des Gläubigerrechts auf seiten des 
Verfügenden nachweislich bekannt gewesen ist. 
3. Außerhalb des Bereichs der zu 1 angeführten Fälle sind die Ver- 
fügungen eines Scheingläubigers als solche ungültig, und zwar sogar dann, 
wenn die Partei, der gegenüber die Verfügungen vorgenommen wurden, selbst 
bei Anwendung der allergrößten Sorgfalt annehmen mußte, der Schein- 
gläubiger sei der wahre Gläubiger. Nicht zu verkennen ist, daß dadurch die 
Interessen der Personen, die mit dem Scheingläubiger rechtsgeschäftlich in Ver- 
kehr treten, in peinlichster Weise gefährdet werden. 
Beispiel. A. hat einen ihm gehörigen Schmuck und den Schuldschein über eine ihm 
zustehende Darlehnsforderung gegen B. dem C. zur Verwahrung gegeben, während er selbst 
eine Reise ins Ausland antritt; C. benutzt das ihm von A. geschenkte Vertrauen, um den 
Schmuck an B. zu veräußern und zugleich von B. dessen Darlehnsschuld einzuziehn, und 
verschwindet mit dem von B. für den Schmuck und auf seine Schuld bezahlten Gelde; und 
zwar hat er sich dem B. gegenüber in Ansehung der Forderung dadurch legitimiert, daß er ihm 
außer dem Schuldschein eine angeblich von A. ausgestellte, in Wahrheit aber meisterhaft ge- 
fälschte Abtretungserklärung vorlegt. Hier erlangt B., wenn er in gutem Glauben war, 
das Eigentum des Schmucks (932), während er von seiner Schuld gegenüber A. nicht befreit 
wird: die Verfügung, die C. als Scheineigentümer des Schmucks traf, war wegen des guten 
Glaubens des B. gültig; die Verfügung, die C. als Scheingläubiger der Dariehnsforderung, 
traf, war trotz des guten Glaubens des B. ungültig. 
III. Einer Form bedürfen die Verfügungen über Forderungen nicht: sie 
können, auch wenn die Forderungen, denen sie gelten, noch so wichtig, noch so 
schwierig sind, auch mündlich und sogar stillschweigend getroffen werden. Eine 
Ausnahme gilt bei hypothekarisch gesicherten oder durch Inhaber= oder Order- 
papiere verbrieften Forderungen. 
IV. Soweit eine Forderung teilbar ist, kann eine Verfügung auch auf 
einen Teil der Forderung beschränkt werden (Teilabtretung, Teilerlaß, Teil- 
aufrechnung usw.). 
V. Die meisten Verfügungen über Forderungen können auch unter Be- 
dingungen und Befristungen — auflösenden wie aufschiebenden — erfolgen. 
Eine Ausnahme gilt namentlich bei der Aufrechnung (388) und der Kündigung 
(oben S. 238, 4). 
VI. Enthält die Verfügung über eine Forderung eine Zuwendung, so 
kann sie sowohl abstrakt wie als Zweckzuwendung vorgenommen werden (oben 
S. 162). Die herrschende Meinung nimmt freilich für den Erlaß und die 
Abtretung das Gegenteil an: ihr zufolge sollen beide Verfügungen nur abstrakt 
erfolgen dürfen. 1 Doch hat diese Meinung im Wortlaut des Gesetzes nicht 
die mindeste Stütze, und auch sachliche Gründe, die für sie sprechen, sind nicht 
erfindlich. 
Beispiele. I. A. „schenkt“ eine ihm gegen B. zustehende Forderung dem C. Hier liegt 
eine Abtretung der Forderung durch eine Zweckzuwendung vor. Nichts wäre unnatürlicher, 
1) Ortmann, Anm. 4 zu § 397; Enneccerus 1 S. 765.
	        
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