Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 105. Verzugszinsen. Gefahr. Schadensersatz wegen Verspätung u. Nichterfüllung. 429 
zu entrichten sind, ist dieser Schadensersatzanspruch nicht ausgeschlossen (289 
Satz 2). 
Beispiel. A. hat dem B. am 1. April 6000 Mk. nebst 4% Zinsen auf ein Jahr, zu- 
sammen 6240 Mk. zu zahlen, leistet aber die Zahlung erst am 1. Oktober, obschon er am 
1. April gewußt hat, daß B. für die ganze Summe vom 1. April ab eine gute mit 6% 
verzinsliche Anlage ausfindig gemacht hat. Hier muß A. dem B. am 1. Oktober außer 
den 6240 Mk. als Schadensersatz wegen Verspätung noch 6% von dieser Summe auf ein 
halbes Jahr = 187,20 Mk. zahlen. 
2. Unter Umständen wird die Wirkung des schuldnerischen Verzuges noch 
mehr verschärft: es wird nämlich dem Gläubiger das Recht zugesprochen, die 
Leistung, mit der der Schuldner in Verzug geraten, als verspätet zurückzuweisen. 
a) Regelmäßig muß der Gläubiger, ehe er die geschuldete Leistung als ver- 
spätet zurückweist, zuvor ein Erkenntnis erwirken, das den Schuldner zu der Leistung 
verurteilt, und muß, nachdem dies Erkenntnis rechtskräftig geworden, dem Schuldner 
noch eine letzte angemessene Nachfrist zur Nachholung der Leistung unter der 
Androhung bestimmen, daß er die Annahme der Leistung nach dem Ablauf 
der Frist ablehne. Ist die Nachfrist verstrichen, ohne daß der Schuldner die 
Leistung nachgeholt, so kann der Gläubiger nunmehr Schadensersatz 
wegen Nichterfüllung fordern, geradeso, wie wenn die Leistung nach- 
träglich durch einen von dem Schuldner zu vertretenden Umstand unmöglich 
geworden wäre (oben § 99); dagegen ist der Anspruch auf Nachholung der 
Leistung und Schadensersatz wegen Verspätung fortab ausgeschlossen (283 I 
Satz 1, 2, II). Die Stellung der Nachfrist nach Rechtskraft des Urteils kann 
unterbleiben, wenn schon in dem Urteil selbst auf Antrag des Klägers eine 
Nachfrist gestellt war (ZP. 255). 
b) Erheblich günstiger ist der Gläubiger gestellt, wenn seine Forderung 
auf einem gegenseitigen Vertrage beruht. Denn er braucht hier nicht erst ein 
rechtskräftiges Urteil gegen den Schuldner zu erwirken, bevor er ihm die letzte 
Nachfrist stellt, sondern kann die Nachfrist sofort stellen, sobald der Schuldner 
in Verzug geraten ist. Außerdem hat der Gläubiger, wenn der Schuldner 
die Nachfrist hat verstreichen lassen, neben dem Anspruch auf Schadensersatz wegen 
Nichterfüllung wahlweise das Recht, von dem Vertrage zurückzutreten (326). 
J) Noch günstiger ist die Rechtslage des Gläubigers, wenn er infolge des 
Verzuges des Schuldners an der Nachholung der Leistung nachweislich gar 
kein Interesse hat. Denn er hat alsdann den zu a und b genannten Anspruch 
auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung und das zu b genannte Rücktrittsrecht 
sofort, ohne daß es zuvor der Erwirkung eines rechtskräftigen Urteils gegen 
den Schuldner oder auch nur der Stellung einer Nachfrist oder einer An- 
drohung der Zurückweisung der Leistung bedarf; auch treten in diesem Fall 
der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung und das Rücktrittsrecht 
nicht an die Stelle des Rechts auf Nachholung der Leistung und auf Schadens- 
ersatz wegen Verspätung, sondern sie treten wahlweise neben dies Recht (286 II, 
326 II). In derselben Art fällt zwar nicht das Erfordernis der Erwirkung
	        
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