106. Annahmeverzug. 431
nicht annehmen werde oder wenn er die Mitwirkung, die ihm bei der Leistung
des Schuldners obliegt, unterläßt, ist ein tatsächliches Angebot nicht erforderlich,
sondern es genügt, wenn der Schuldner dem Gläubiger die Leistung wörtlich
anbietet oder ihn zur Mitwirkung bei der Leistung auffordert, es sei denn, daß
der Schuldner tatsächlich nicht imstande ist, die Leistung sofort zu bewirken
(294, 295, 297).
b) Diese Regel wird durch eine Ausnahme durchbrochen, ähnlich der, die
für den Verzug des Schuldners gilt: ein Angebot der Leistung von seiten des
Schuldners soll nämlich nicht erforderlich sein, wenn der Gläubiger bei der
Leistung mitzuwirken hat und die Zeit für seine Mitwirkung kalendermäßig
fest bestimmt ist oder zwar von einer Kündigung abhängt, aber, sobald die
Kündigung geschehn, aus dem Kalender berechnet werden kann, — es sei denn
auch hier, daß der Schuldner außerstande ist, die Leistung sofort zu bewirken
(296, 297).
Beispiel. Der Verleiher gerät in Annahmeverzug erst dann, wenn der Entleiher ihm
die geborgten Sachen zurückbringt oder zurückschickt. Hat er jedoch versprochen, die Sachen
zu holen, so kommt er schon dann in Verzug, wenn der Entleiher ihn um Abholung bittet —
es sei denn, daß der Entleiher die Sachen weiterverborgt hat und also zur sofortigen Rückgabe
gar nicht imstande ist. Hat er endlich versprochen, die Sachen „am 1. April“ abzuholen,
so kommt er an diesem 1. April in Verzug, ohne daß der Entleiher ihn um Abholung zu
bitten braucht.
Geht die Forderung des Gläubigers auf Lieferung von Sachen, die nur der Gattung
nach bestimmt sind, so kann er in Annahmeverzug geraten, ohne daß der Schuldner eine
einzelne zur Gattung gehörige Sache für ihn ausgeschieden haben müßte; denn mindestens
dann, wenn von seiten des Schuldners ein wörtliches Angebot der geschuldeten Leistung
genügt oder wenn es eines Angebots der Leistung überhaupt nicht bedarf, setzt der An-
nahmeverzug des Gläubigers nur voraus, daß der Schuldner eine solche Ausscheidung vor-
zunehmen imstande ist, nicht aber auch, daß er sie tatsächlich vornimmt. Doch hat ein An-
nahmeverzug des Gläubigers ohne tatsächliche Ausscheidung eines Sachindividuums nur be-
schränkte Wirkungen, indem er z. B. bei einer verzinslichen Geldforderung den Zinsenlauf
beendigt (s. unten II, 1 a 0). Dagegen ist bei andern Wirkungen des Annahmeverzuges die
zuvorige Ausscheidung eines Sachindividuums unerläßlich (s. unten II, 1a##); ja eine be-
sonders merkwürdige Wirkung des Annahmeverzuges (s. unten zu II, 1 a #d) setzt sogar vor-
aus, daß das ausgeschiedene Sachindividuum als solches dem Gläubiger angeboten ist!
3. a) Daß dem Gläubiger ein Verschulden zur Last fällt, ist, abweichend
von der für den Verzug des Schuldners geltenden Regel, nicht erforderlich.
Demnach kommt er auch dann in Verzug, wenn er in gutem Glauben die ihm
vom Schuldner angebotene Leistung für mangelhaft hält oder wenn er von
seiner Berechtigung gar nichts weiß oder wenn er durch höhere Gewalt ver-
hindert war, die Leistung anzunehmen oder pflichtmäßig bei ihr mitzuwirken.
b) Nur dann, wenn die Leistungszeit nicht bestimmt war oder wenn der
Schuldner berechtigt ist, vor der bestimmten Zeit zu leisten, wird dieser strenge
Satz etwas abgeschwächt: der Gläubiger kommt nämlich in diesem Fall nicht
in Verzug, wenn er vorübergehend an der Annahme der angebotenen Leistung
verhindert ist. Doch kann der Schuldner ihm diesen Vorteil dadurch wieder
entziehn, daß er ihm die Leistung eine angemessene Zeit vorher ankündigt (299).