5 9. Fortdauernde Geltung der älteren Reichs= und Landesgesetze. 29
gegebenen Zeit Vormund zu sein, mit sich bringe. Nun erklärt aber das BGB eine Person,
der die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, nicht für „unfähig“, sondern nur für „un-
geeignet“, als Vormund bestellt zu werden (1780, 1781).7 Hiermit ist die vorgenannte Vor-
schrift des Strafgesetzbuchs offenbar nicht vereinbar. Sie ist also insoweit stillschweigend ab-
geändert. V. Ausdrücklich aufgehoben ist das RGes. betr. die vertragsmäßigen Zinsen v.
14. Nov. 67 (EG. 39).
b) Ahrlich steht es auf den der Landes= und Statutargesetzgebung über-
wiesenen Gebieten mit den älteren Landesgesetzen und Statuten privatrechtlichen
Inhalts. Sie sind, obschon sie zum Teil aus uralten Zeiten stammen, nach
wie vor in Geltung, soweit sie nicht durch jüngere Gesetze ausdrücklich aufge-
hoben oder abgeändert sind oder mit deren Regeln in unlöslichem Wider-
spruch stehn.
Beispiele: I. Vom preußischen Landrecht ist ein ziemlich beträchtlicher Teil aufrecht
erhalten, z. B. seine Regeln über Familienfideikommisse und das gesetzliche Erbrecht der
öffentlichen Verpflegungsanstalten sowie einige Vorschriften über das Nachbarrecht. Und
zwar sind für Preußen selbst die Landrechtsparagraphen, die noch jetzt in Kraft bleiben
sollen, im preuß. Ausführungsgesetz einzeln aufgezählt (pr. AusfGes. 89 Nr. 1). Dagegen
hat Bayern für sein landrechtliches Gebiet eine solche mühsame Revisionsarbeit nicht unter-
nommen. II. Viel weniger als in den landrechtlichen Teilen Preußens und Bayerns vom
Landrecht ist in den Gebieten des vormaligen gemeinen Rechts von Justinians Gesetzbuch
übriggeblieben; hauptsächlich sind es die Regeln über die actio aquae pluviae arcendae,
bie insula in flumine nata, den alveus derelictus, so daß man den noch jetzt in Geltung
befindlichen Teil des corpus juris geradezu als Wassergesetz bezeichnen kann (s. EG. 65).
Den schwierigen Versuch, die weitergeltenden Paragraphen des corpus juris einzeln namhaft
zu machen oder, wenn sich das nicht lohnte, diesen kümmerlichen Rest der alten Renaissance-
herrlichkeit ganz zu beseitigen, hat nicht ein einziger Staat gewagt. III. Noch übler ist es dem
eode civil ergangen: er ist in Elsaß-Lothringen, Rheinbayern, Rheinhessen und Birkenfeld
vollständig aufgehoben (Els Lothr Ges. v. 29. Nov. 99 8 1; AussGes. Bayern 175, Hessen 286
I, 12, Birkenfeld 90). Nur in Rheinpreußen fand man nicht den Mut dazu, sondern ließ ein
paar Bestimmungen über öffentliche Sachen, das Nachbarrecht, das Wasserrecht, die Weideberech-
tigungen und die Haftung des Staats und der Gemeinden für die Delikte ihrer Beamten in
Kraft (pr. AusfGes. 89 Nr. 2). Noch im Jahr 1910 werden also zwar nicht die Bürger
von Saargemünd, wohl aber die von Saarbrücken französisch lernen müssen, wenn sie ihr
heimisches Recht ganz verstehen wollen. IV. Vom sächsischen bürgerlichen Gesetzbuch sind
einige Vorschriften über das Nachbarrecht, die Grunddienstbarkeiten usw. aufrecht erhalten (sächs.
AusfGes. 53). V. Vom bayrischen Landrecht gelten nur noch einige wenige Regeln, z. B.
über das außergerichtliche Pfändungsrecht, fort (AusfGes. Bayern 1). VI. Das württem-
bergische und das badische Landrecht sind restlos aufgehoben (AusfGes. Württemb. 283 Nr. 1,
Baden 39 Nr. 1).
4. Wenn irgendein noch jetzt in Geltung gebliebenes Gesetz auf eine
Rechtsnorm verweist, die durch das bürgerliche Gesetzbuch oder das Einführungs-
gesetz dazu aufgehoben ist, so ist die Verweisung auf diejenige jüngere Norm
zu beziehen, die an die Stelle der aufgehobenen getreten ist (EG. 4).
Beispiele. I. In der preuß. Gesindeordnung von 1810 § 94 ist durch Hinweis auf
pr. LR. I, 13 § 81 bestimmt, daß eine Herrschaft, die einem Dienstboten einen bestimmten Be-
sehl erteilt, für allen, auch bloß zufälligen Schaden haftbar ist, den der Dienstbote durch die
Ausführung des Besehls erleidet, sofern der Dienstbote den Befehl nicht hat ausführen können,
ohne sich der Gefahr eines solchen Schadens auszusetzen. Nun ist aber jener Paragraph des
Landrechts durch EG. 55 aufgehoben, und an seine ist Stelle BGB. 618 getreten. Hiernach
7) lber den Sinn dieser Unterscheidung siehe unten § 337 20.