Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

458 Buch II. Abschnitt 1. Das Recht der Forderungen im allgemeinen. 
Denn die Abtretung steht fortab mindestens in dem negativen Sinn auch dem 
Schuldner gegenüber fest, daß die Rolle des alten Gläubigers ausgespielt ist: 
der Schuldner darf an ihn nicht mehr erfüllen; er darf ihm weder kündigen 
noch von ihm eine Kündigung annehmen; er darf mit ihm keine Verträge 
über die Schuld abschließen usw. Der Faden, der den Schuldner mit dem 
alten Gläubiger verknüpft, ist also endgültig zerschnitten. Hingegen bleibt 
die positive Wirkung der Abtretung, der Eintritt des neuen Gläubigers in 
die Forderung, noch ebenso unsicher wie im ersten Stadium: der Schuldner 
kann den neuen Gläubiger anerkennen, wenn er will, ist aber dazu nicht ver- 
pflichtet. Woher der Schuldner die sichere Kenntnis von der Abtretung ge- 
winnt, ist gleichgültig; es kann dies auf einer formlosen Mitteilung des alten 
oder neuen Gläubigers, es kann aber ebensogut auf einer zufälligen Mitteilung 
eines Unbeteiligten beruhn; nur muß die Mitteilung unbedingt glaubhaft sein.7 
Daß der Schuldner die Kenntnis gehabt hat, muß ihm im Streitfall nach- 
gewiesen werden. Kennenmüssen steht dem Kennen nicht gleich. 
c) Drittes Stadium: dem Schuldner ist die Abtretung formell angezeigt 
(410). Die Anzeige (denuntiatio) geschieht entweder durch den alten Gläu- 
biger und bedarf dann der Schriftform. Oder sie geschieht durch den neuen 
Gläubiger: alsdann kann sie mündlich geschehn; der neue Gläubiger muß 
aber dem Schuldner eine vom alten Gläubiger ausgestellte Abtretungsurkunde 
vorlegen und, wenn der Schuldner erfüllt, sie ihm auch aushändigen. Damit 
ist nun auch die positive Wirkung der Abtretung sicher gestellt; der neue 
Gläubiger ist jetzt in den Vollbesitz der Gläubigerrechte getreten; er kann jetzt 
auch gegen den Willen des Schuldners mahnen, kündigen, Erfüllung fordern. 
Beispiele. A. hat drei Forderungen, die ihm gegen B., C. und D. zustehn und gegen 
eine dem Gläubiger wie dem Schuldner zustehende dreimonatige Kündigung zahlbar sind, 
dem E. abgetreten: B. hat die Abtretung durch eine mündliche, C. hat sie durch eine schrift- 
liche Anzeige A.8, D. hat sic durch eine ganz unzuverlässige Mitteilung der Ehefrau C.3 er- 
fahren. I. Erster Fall: alle drei Schuldner kündigen die Forderung an die Adresse E.8. 
Hier sind die drei Kündigungen gültig. II. Zweiter Fall: alle drei Schuldner kündigen an 
die Adresse A.3. Hier sind die Kündigungen des B. und des C. ungültig, die des D. ist 
gültig. III. Dritter Fall: A. kündigt die Forderungen an die Adresse der drei Schuldner. 
Hier ist die Kündigung gegenüber B. und C. ungültig; ob die Kündigung auch gegenüber 
D. ungültig ist, hängt von dessen Gutdünken ab, ohne daß eine Frist bestände, binnen 
deren D. sich darüber zu erklären hätte, ob er die Kündigung A.8s gelten lassen will oder 
nicht. IV. Vierter Fall: E. kündigt die drei Forderungen. Hier ist die Kündigung gegen- 
über C. gültig; dagegen ist die Kündigung gegenüber B. und D. ungültig, wenn beide 
Schuldner sie unverzüglich zurückweisen. 
3. a) Dritten Personen gegenüber wird die Abtretung sofort mit dem 
Vertragsschluß wirksam; ein Gläubiger des alten Gläubigers kann also nach 
dem Abschluß des Abtretungsvertrages die Forderung nicht mehr mit Beschlag 
belegen, mag auch die Abtretung dem Schuldner noch nicht angezeigt sein. 
b) Daraus ergibt sich noch folgende Regel: wenn der alte Gläubiger 
7) RG. 61 S. 245.
	        
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