Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

Zweiter Abschnitt. 
Einzelne Arten der Jorderungen. 
Einleitung. 
. 120 a. 
I. Die Zahl der einzelnen Forderungsarten ist unübersehbar groß. Denn 
es steht im freien Belieben der Beteiligten, im Wege des Rechtsgeschäfts täglich 
neue Arten von Forderungen ins Leben zu rufen. Deshalb hat sich das 
Gesetz darauf beschränkt, nur eine gewisse Anzahl von ihnen wegen ihrer 
praktischen Wichtigkeit oder wegen ihrer Schwierigkeit besonders zu regeln. Da- 
gegen kommen für die übrigen im Gesetz schweigend übergangenen Forderungs- 
arten lediglich die Parteibestimmungen, die allgemeinen Rechtsregeln und das 
sogenannte Recht der Wissenschaft (oben S. 33) in Betracht. 
Beispiel. Nicht gesetzlich geregelt ist der Fall, daß A. sich verpflichtet, sein Haus dem 
B. gegen eine Geldzahlung von 100 000 Mk. zu übertragen, wenn A. ausgesprochenermaßen 
der Meinung ist, das Haus sei 200 000 Mk. wert, während B. den Wert des Hauses in 
derselben Art auf nur 100 000 Mk. annimmt. Hier liegt nämlich kein Kauf vor; denn 
beim Kauf müssen die Parteien darüber einig sein, daß die von B. zu zahlenden 100 000 Mk. 
einen „Kaufpreis“ für das Haus darstellen, d. h. dem Wert des Hauses gleich kommen. 
Andrerseits liegt auch keine Schenkung vor; denn bei der Schenkung müssen beide Parteien 
darüber einig sein, daß die von B. zu zahlenden 100 000 Mk. kein Entgelt für das Haus 
bilden, d. h. hinter dem Wert des Hauses zurückbleiben. Ebensowenig läßt sich endlich das 
Rechtsgeschäft zwischen A. und B. unter irgendeine andre der im Gesetz besonders geregelten 
Geschäftstypen bringen. 
II. Die einzelnen Forderungsarten werden am deutlichsten durch den 
Rechtsgrund charakterisiert, auf dem sie beruhn, und werden im folgenden 
demgemäß nach ihren Rechtsgründen (Kauf, Miete, Schenkung, Delikt usw.) 
geordnet. 
Darüber, wie diese Rechtsgründe zu systematisieren und in welcher Reihenfolge sie 
darzustellen sind, kann man verschiedener Meinung sein. Manche Juristen legen auf diese 
Frage besondern Wert und sind bemüht, vor allem die verschiedenen im Gesetz geregelten 
Typen der obligatorischen Rechtsgeschäfte kunstvoll zu gruppieren, indem sie z. B. Umsatz- 
geschäfte, Arbeitsgeschäfte, Sicherungsgeschäfte usw. unterscheiden. Wie mir scheint, ist die 
Frage belanglos.
	        
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