Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

488 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Forderungen. 
Ein fünfter Fall, in dem Gefahrübergang und Übergabe der Kaufsache auseinander- 
fallen, ist der, daß eine Fahrnissache verkauft und unter Vorbehalt des Eigentums übergeben 
ist (s. unten S. 513); hier ist anzunehmen, daß die Gefahr auf den Käufer erst übergeht, 
wenn der Eigentumsvorbehalt erledigt ist.2 
b) Aus den Regeln zu a folgt, daß der Gefahrübergang, selbst wenn 
man von dem anomalen Fall des Annahmeverzuges des Käufers absieht, 
keineswegs nach einem einheitlichen Prinzip behandelt wird. Insbesondere ist 
keine Rede davon, daß etwa die Gefahr der gekauften Sache notwendig in 
demselben Zeitpunkt auf den Käufer überginge wie das Eigentum und der 
Besitz der Sache. Vielmehr gibt es Fälle, in denen der Käufer die Gefahr 
der Sache trägt, obschon er nur das Eigentum, nicht aber den Besitz oder nur 
den Besitz, nicht aber das Eigentum oder weder das Eigentum noch den Besitz 
der Sache erlangt hat. Es wäre also sehr ungenau, wollte man das Prinzip 
des Gefahrüberganges durch die früher öfters gebrauchte Parömie: casum 
sentit „dominus“ wiedergeben. 3 
Beispiele. Die Gefahr geht auf den Käufer über: I. beim Grundstückskauf, wenn die 
Übergabe der Umschreibung im Grundbuch vorausgeht, mit der Übergabe, obschon der Käufer 
dadurch zwar Besitz, nicht aber auch Eigentum gewinnt; II. beim Grundstückskauf, wenn 
die Umschreibung im Grundbuch der Ubergabe vorausgeht, mit der Umschreibung, obschon 
der Käufer dadurch zwar Eigentum, nicht aber notwendig auch Besitz gewinnt; III. beim 
Fahrniskauf, wenn die Ware dem Kaufer auf dessen Verlangen nach einem andern Ort als 
dem Erfüllungsort zugesendet wird, mit der Absendung, obschon der Käufer dadurch regel- 
mäßig weder Eigentum noch Besitz gewinnt. 
Ein Grund, der diese seltsam prinziplose Regelung des Gefahrüberganges rechtfertigte, 
ist wohl kaum aufzufinden. Vor allem ist nicht einzusehn, warum beim Versendungskauf 
die Gefahr schon mit der Absendung auf den Käufer übergehn soll. Denn es ist offen- 
sichtlich unnatürlich, den Käufer mit der Transportgefahr zu belasten, da er doch während 
des Transports weder Besitz noch Eigentum der Kaufsache hat und da, wenn die Sache auf 
dem Transport untergeht, er nicht einmal in der Lage ist, eigne Ersatzansprüche gegen den 
Transporteur zu erheben, sondern auf die Mitwirkung des Absenders angewiesen ist. Nun 
wird freilich auf die Schwierigkeit hingewiesen, die darin liegt, daß ein gewerbsmäßiger Ver- 
käufer, dem man die Transportgefahr aufbürden würde, seine Preise um eine Transport-- 
risikoprämie erhöhn und zu diesem Zweck für die verschiedenen auswärtigen Käufer je nach 
der Gefährlichkeit des Transports zu ihnen die Preise verschieden berechnen müßte. Allein 
diese technische Schwierigkeit ist nicht so groß wie die eben genannte juristische. 
Eigentümlich liegt solgender Fall: A. hat durch ein Versehn sein Haus im März erst 
an B. und dann an C. verkauft: mit B. ist vereinbart, daß die Ubergabe sofort, die Auf- 
lassung erst in 14 Tagen erfolgen solle, während mit C. die gegenteilige Abrede getroffen ist; 
demgemäß wird das Haus auch wirklich am 1. April dem B. übergeben, dem C. aufgelassen; 
am 5. April, nachdem C. bereits als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, wird das Haus 
durch Brand zerstört. Hier ist die Gefahr des Hauses sowohl auf B. wie auf C. über- 
gegangen. Es scheint also, als ob alle beide den Kaufpreis zahlen müßten. Doch ist dem 
in Wirklichkeit nicht so (s. auch unten zu 3 b); denn B. und C. brauchen nur zu zahlen, 
wenn die Bodenfläche, auf der das Haus stand, jenem nachträglich übereignet, diesem nach- 
träglich übergeben wird, und beides zugleich kann A. nicht bewerkstelligen, sondern höchstens 
— nämlich wenn B. die Bodenfläche dem A. zurückübergibt oder C. sie ihm zurückaufläßt 
  
2) Ortmann Anm. 6 zu 8 455. Abw. Rechtspr. d. OLG. 8 S. 445. 
3) Vgl. aber Ortmann Anm. 1c zu § 446.
	        
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