8 12. Authentische Gesetzesauslegung. Entstehungsgeschichte. 39
werde. In dieser Weise ist für das bürgerliche Gesetzbuch der Sinn der Worte
„Auftrag", „Anfechtung“ usw. authentisch festgesetzt (662, 142—144).
Die authentische Festsetzung des Sinns eines juristischen Ausdrucks gilt zunächst nur
für das Gesetz, das die Festsetzung enthält. Doch kann sie natürlich mit gebührender Vor-
sicht auch bei der Auslegung andrer gleichzeitiger oder jüngerer Gesetze verwertet werden.
Vorsicht ist namentlich am Platz, wenn ein älteres Gesetz einem bestimmten alten Sprach-
gebrauch huldigt, hierauf ein zweites jüngeres Gesetz authentisch einen ganz abweichenden
neuen Sprachgebrauch einführt und nun endlich ein drittes Gesetz — noch jünger als das
zweite oder ebenso alt — ergeht, das sich ergänzend oder abändernd als sog. Novelle an
das erste, älteste Gesetz anschließt; denn es ist schlechterdings ungewiß, ob eine solche Novelle
wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem ersten Gesetz dem alten oder wegen der in der
Zwischenzeit erfolgten authentischen Interpretation dem neuen Sprachgebrauch folgen will.
Ein Beispiel bietet die Konkursnovelle von 1898: es ist keineswegs sicher, ob sie das Wort
„Anfechtung“ im Sinn des bürgerlichen Gesetzbuchs oder im Sinn der alten Konkursordnung
von 1877 gebraucht.
b) Möglich ist es auch, daß der Wortsinn einer Rechtsformel nicht in
dem Gesetz, das die Formel aufstellte, sondern durch ein eignes Nachtrags-
gesetz festgestellt wird. Dies ist die authentische Interpretation im
engern Sinn.
Beispiel. I. Nach preuß. Landr. I., 21 § 395 sollte der Vermieter an allen vom Mieter
eingebrachten Sachen die Rechte eines Pfandgläubigers haben; die Deklaration v. 21. Juli
1846 legie diese Regel fälschlich und dennoch rechtsverbindlich dahin aus, daß das Pfandrecht
nur für Sachen, die dem Mieter selbst gehören oder die er ohne Einwilligung des Eigen-
tümers zu verpfänden befugt ist, gelten solle. II. Siehe ferner preuß. Ges. v. 24 Juli 66.
5. Sehr oft wird behauptet, daß die Auslegung der Gesetze auch
durch eine gewisse Rücksichtnahme auf die sog. Entstehungsgeschichte der aus-
zulegenden gesetzlichen Normen gebunden sei; insbesondre wird den amtlichen
„Motiven“, die die Redaktoren der Gesetzesentwürfe ihren Machwerken beizugeben
pflegen, den Verhandlungen der Kommissionen, die mit der Beratung dieser
Entwürfe betraut sind, sowie endlich den Außerungen, die bei der Beratung
der Entwürfe in den Parlamenten von seiten der Abgeordneten oder
Regierungsvertreter fallen, eine autoritative Bedeutung beigemessen." Doch ist
diese Annahme verfehlt. Denn alle solche Schriften und Reden sind ein
Internum der bei der Gesetzgebung beteiligten Organe; die Gesetze werden
aber nicht für diese Organe, sondern für das Volk gemacht. Nur was dem
ganzen Volk offenkundig vor Augen liegt, der Gesetzeswortlaut und das
Bedürfnis des Rechtslebens, sind taugliche Auslegungsmittel. Dagegen hat
das Volk keinen Anlaß, sich um alle jene nur dem Stadium der Gesetzesvor-
bereitung angehörigen Schriften und Reden zu kümmern. Man darf ihnen
deshalb keine höhere Bedeutung beilegen als den Kundgebungen irgend einer
beliebigen bei dem Zustandekommen des Gesetzes gänzlich unbeteiligten
Privatperson.
Oder bin ich etwa, wenn ich in Vertragsverhandlungen mit einer Stadtgemeinde oder
einer Aktiengesellschaft stehe, gehalten, die Zeitungsberichte über die Debatten zu lesen, die
0) Siehe z. B. Regelsberger S. 143 10; Eck S. 30.