§ 13. Internationales Privatrecht. 43
Staaten gleichmäßig gerecht wird. Offenbar ist aber nur diejenige Regelung des internatio-
nalen Privatrechts auf die Dauer zu billigen, die Aussicht hat, im Lauf der Zeit zum ge-
meinschaftlichen Recht der ganzen zivilisierten Welt erhoben zu werden.
Eine Schwäche unfres Prinzips ist seine Unbestimmtheit. Doch wird man einräumen
müssen, daß alle sonstigen Versuche, ein Prinzip des internationalen Privatrechts zu formu-
lieren, noch unbestimmter ausgefallen sind; insbesondre gilt dies für die berühmte Formel
Savignys: ein Rechtsverhältnis ist nach den Gesetzen des Orts zu beurteilen, an dem es
seinen „Sitz“ hat. Man darf unser Prinzip um seiner Unbestimmtheit willen nur dann
verwerfen, wenn man in der Lage ist, ein bestimmteres an seine Stelle zu setzen. Mit
einem bloßen „non liquet“ kommt man bei einem Problem, das eine rechtliche Regelung
aus praktischen Gründen dringend fordert, nicht aus.
Leonhards wendet gegen unser Prinzip ein, es ließe die Praxis im Stich, sobald
zwei verschiedene Rechtsordnungen einer Rechtsfrage mit demselben Interesse oder derselben
Gleichgültigkeit gegenüberstehn. Das ist richtig: wenn z. B. jemand, der zeitlebens zugleich
die russische und österreichische Staatsangehörigkeit und einen Doppelwohnsip in Frankreich
und Belgien gehabt hat, auf einem Ausfluge nach der Schweiz stirbt, und nun verschiedene
Franzosen und Belgier als seine angeblichen Erben in Deutschland um ihr Erbrecht streiten,
ist aus unserm Prinzip schlechterdings nicht abzuleiten, welches Recht auf diesen Streit an-
zuwenden ist: denn Rußland und Osterreich, Frankreich und Belgien haben an dem Streit
das nämliche gesetzgeberische Interesse. Ist aber wohl ein andres Prinzip denkbar, welches
einem derart verzwickten Fall gerecht würde? Soll man um solcher seltenen Fälle willen
auf die Aufstellung eines Prinzips ganz verzichten und damit das internationale Privatrecht
der richterlichen Willkür preisgeben?
Ganz anders als ich bestimmt Zitelmann 10 das Prinzip des internationalen Privat-
rechis: er will jeden Anspruch nach dem Recht des Staats beurteilen, der völkerrechtlich befugt
ist, die Erfüllung des Anspruchs zu befehlen. Hiergegen ist unter anderm folgendes zu er-
widern: I. Unmöglich kann es, wie Zitelmann will, allein auf die Frage ankommen, ob ein
Staat die Anwendung einer Rechtsregel völkerrechtlich befehlen „darf“, sondern mindestens
ebenso wichtig ist die Frage, ob er die Anwendung der Regel besehlen „will“. Und es liegt
doch auf der Hand, daß die Bejahung der einen Frage keineswegs die Bejahung der andern
mit sich bringt. Wie oft kommt es vor, daß ein Staat irgend eine formale völkerrechtliche
Befugnis hat und nicht daran denkt, tatsächlich von ihr Gebrauch zu machen! Man sieht
also deutlich: sollte die Frage erheblich sein, ob ein Staat zur Erteilung eines gesetzgeberischen
Besehls völkerrechtlich befugt ist, so müßte ihr jedenfalls die Frage gleichberechtigt zur Seite
gestellt werden, ob er auch ein gesetzgeberisches Interesse an der Erteilung des Befehls hat.
II. Ein Prinzip, das alles auf die völkerrechtliche Gesetzgebungegewalt der verschiedenen
Staaten abstellt, läßt die Praxis nicht bloß, wie das unfrige, in seltenen Ausnahmefällen,
sondern auf Schritt und Tritt im Stich. Denn überaus häufig haben nach Völkerrecht zwei
Staaten nebeneinander die Befugnis, gesetgeberische Befehle zu erteilen, der eine kraft seiner
Personal-, der andre krast seiner Territorialhoheit; ob nun aber der kraft Personalhoheit
erlassene Besehl dem kraft Territorialhoheit erlassenen Befehl vorgehe oder umgekehrt und ob
ein Befehl, den ein Staat schlechthin ohne nähere Bezeichnung seines Anwendungsgebiets
erläßt, auf seine Personalhoheit oder auf seine Territorialhoheit oder auf beides zugleich
zurückzuführen sei, läßt sich auf Grund des Völkerrechts allein nicht entscheiden.
III. Wie fast alle allgemeinen Rechtsgrundsätze beansprucht auch das zu
II entwickelte Prinzip des internationalen Privatrechts nur subsidiäre Anwendung:
es ist unanwendbar insoweit, als für irgendeine Rechtsfrage eine spezielle
Kollisionsnorm vorhanden ist.
1. Die wichtigsten Quellen der speziellen Kollisionsnormen sind das Ein-
8) Bei Eck 3 S. 234.
9) Hierüber siehe noch unten zu Anm. 17.
10) In dem Anm. 1 genannten Buch.