Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

44 Buch I. Abschnitt 1. Die Rechtsregeln. 
führungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch, die drei Haager Vorträge von 1902 
(in Kraft getreten 1904), 11 das Gewohnheitsrecht und die Rechtsanalogie. 
a) Am reichhaltigsten ist das Einführungsgesetz: es enthält eine sehr statt- 
liche Anzahl spezieller Kollisionsnormen namentlich in Ansehung des Familien- 
und Erbrechts. Bedauerlich ist nur, daß diese Normen kaum eine einzige 
Rechtsfrage erschöpfend behandeln: sie begnügen sich meist damit anzuordnen, 
daß auf eine Frage unter gewissen Voraussetzungen deutsches, unter gewissen 
andern Voraussetzungen ein bestimmtes ausländisches Recht anwendbar sein 
soll, lassen es dagegen absichtlich unentschieden, welches Recht maßgebend sein 
soll, wenn es an einer jener Voraussetzungen gebricht. 
Beispiel. Es fragt sich, nach welchem Recht I. ein Deutscher, der in Deutschland, 
II. ein Deutscher, der im Auslande, III. ein Ausländer, der in Deutschland, IV. ein Aus- 
länder, der in seinem Heimatsstaat, V. ein Aueländer, der in einem andern Auslandsstaat 
seinen Wohnsitz hat, entmündigt werden soll. Nun bestimmt das C. lediglich zu III. die 
Anwendbarkeit des deutschen Rechts (EtG. 8), läßt dagegen die Fälle I, II, IV und V un- 
entschieden, obschon nur die Fälle 1 und 1V zweifelsfrei liegen, dagegen die Fälle II und V. 
eine ausdrückliche Kollisionsnorm sehr wohl verdient hätten.2 
b) Viel weniger ausgiebig sind die Haager Verträge. Denn sie befassen 
sich nur mit der Eheschließung, der Ehescheidung und der Vormundschaft. Auch 
gelten sie bloß im Verhältnis zwischen Deutschland und den andern Vertrags- 
staaten (Schweden, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Ita- 
lien, Rumänien, Portugal, zum Teil auch Spanien), nicht aber auch gegenüber 
England, Osterreich, Rußland, Amerika usw. 
I) Noch dürftiger ist das Gewohnheitsrecht: es hat fast nur für die ding- 
lichen Rechtsverhältnisse an Grundstücken Bedeutung.13 
d) Sehr fruchtbar erweist sich dagegen die Rechtsanalogie. Vor allem 
gibt sie Mittel und Wege, die Lücken, die die Kollisionsnormen des Einführungs- 
gesetzes, wie erwähnt, bedauerlicherweise offen lassen, in einem nicht unerheb- 
lichen Maß auszufüllen: wenn das Einführungsgesetz unter gewissen Voraus- 
setzungen, die auf Deutschland Bezug haben, für eine bestimmte Rechtsfrage 
das deutsche Recht maßgebend sein läßt, ist der Regel nach der Analogieschluß 
erlaubt, daß unter entsprechenden Voraussetzungen, die sich auf einen bestimmten 
Auslandsstaat beziehn, für die nämliche Rechtsfrage das Recht eben dieses 
Auslandsstaats maßgebend sein muß. 
Beispiel. Aus der oben bei a) genannten Kollisionsnorm, daß ein in Deutschland 
wohnender Ausländer in Deutschland nach deutschem Recht entmündigt werden kann, folgern 
wir, daß analog ein in einem bestimmten Auslandsstaat wohnender Deutscher in diesem 
Staat nach dortigem Recht entmündigt werden kann, “ d. h. daß, wenn eine derartige aus- 
ländische Entmündigung erfolgt ist, sie auch bei uns solange als gültig angesehen werden 
muß, bis sie — sei es im Auslande, sei es bei uns — formell wieder aufgehoben ist. 
Unzulässig ist der Analogieschluß, wenn das E. das deutsche Recht erkennbar nur 
aus Mißtrauen gegen die Billigkeit des Auslandsrechts für anwendbar erklärt. Beispiel: 
nach dem E. soll ein Deutscher aus einem im Auslande begangenen Delikt bei uns nicht 
11) RGes Bl. 1904 S. 221. 12) Siehe unten bei Anm. 11. 
13) Siehe unten bei Anm. 16. 14) Siehe aber auch unten bei Anm. 15.
	        
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