Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 144. Dienstvertrag. Pflichten des Dienstempfängers. 603 
Beispiele. I. Die Köchin des A. gibt der bei A. beschäftigten Putzfrau B. eine Leiter, 
die ihr (der Köchin) als gebrechlich bekannt ist; die B. bricht mit der Leiter zusammen und 
beschädigt sich. Hier ist A. ersatzpflichtig. II. Der katholische C. aus Ratibor ist im Hause 
des gleichfalls katholischen D. in Oppeln als Privatsekretär auf ein Jahr angestellt; trotz 
der Bitte C.s verweigert ihm D. an den Fastentagen die Fastenverpflegung. Hier kann C. 
kündigen und Ersatz der Kosten seiner Reise von Ratibor nach Oppeln fordern. 
c) Bei den Dienstverträgen, bei denen der Dienstempfänger den Dienst- 
schuldner in seine häusliche Gemeinschaft aufnimmt, wird seine Fürsorgepflicht 
noch weiter verschärft, wenn das Dienstverhältnis ein dauerndes ist und die 
Erwerbsfähigkeit des Schuldners vollständig oder hauptsächlich in Anspruch 
nimmt. Alsdann hat nämlich der Dienstempfänger die Verpflichtung, dem 
Dienstschuldner im Fall der Erkrankung auf die Dauer von sechs Wochen 
Verpflegung und ärztliche Behandlung zu gewähren, und zwar nach seiner 
Wahl in seiner eignen Häuslichkeit oder in einer passenden Krankenanstalt 
(617 1, Satz 1, 2). 10 
a) Hierher gehören namentlich die Dienstverträge der Gesellschafterinnen, Erzieherinnen, 
Wirtschafterinnen, nicht selten aber auch der Handwerksgesellen, Kellner usw. 
5 Erkrankt der Dienstschuldner in der Dienstzeit mehrmals, so läuft, sofern die Krank- 
heiten durch eine kurze Gesundheitspause getrennt sind, die sechswöchige Frist für jede Krank- 
heit besonders, so daß sich die Verpflichtung insgesamt auf viele Monate erstrecken kann. 
)) Die Verpflichtung bedeutet nicht bloß, daß der Dienstempfänger die Verpflegung und 
ärztliche Behandlung besorgen, sondern auch, daß er deren Kosten tragen muß. Nur insoweit, 
als der Dienstschuldner während der Zeit der Erkrankung (d. h.: während der Zeit der Ver- 
pflegung und Behandlungl) seine Dienstvergütung fortbezieht, gilt das Gegenteil; der Dienst- 
empfänger kann nämlich jene Kosten auf die Dienstvergütung anrechnen (617 1 Satz 3). 
) Die Verpflichtung hört auf, wenn das Dienstverhältnis aufhört, mag auch die 
Krankheit dann noch fortdauern und die sechswöchige Frist noch nicht abgelaufen sein. Nur 
dann bleibt die Beendigung des Dienstverhältnisses außer Betracht, wenn sie von dem 
Dienstempfänger gerade wegen der Erkrankung durch Kündigung herbeigeführt ist (617 I. 
Satz 1, 4). 
e) Die Verpflichtung fällt ganz fort, 1. wenn der Dienstschuldner seine Erkrankung vor- 
sätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt hat (617 1 Satz 1), 2. wenn für die Verpflegung 
und ärztliche Behandlung des Dienstschuldners durch eine öffentliche oder private Versicherung 
oder durch eine Einrichtung der öffentlichen Krankenpflege Vorsorge getroffen wird (617 1l). 
5) Um die Tragweite der Regeln zu würdigen, ist folgendes zu beachten: I. Voraus- 
gesetzt ist eine „Erkrankung“ während des Dienstverhältnisses. Die Pflicht des Dienstempfängers 
tritt also ein, wenn die Erkrankung nach dem Dienstantritt ausbricht, mag ihr Keim (durch 
Ansteckung, erbliche Belastung usw.) auch schon vorher in dem Kranken gesteckt haben. Da- 
gegen versagt die Pflicht, wenn der Dienstschuldner bereits als Kranker in den Dienst kommt, 
mag die Krankheit sich auch während des Dienstes wesentlich verschlimmern. 11 Daraus ergibt 
sich, daß zwischen Krankheiten, die „im Dienst“, d. h. in Veranlassung des Dienstes ent- 
standen sind, und andern Krankheiten in keiner Weise unterschieden wird. II. Gleichgültig 
ist es, ob der Kranke ein langjähriger Angestellter des Dienstempfängers ist oder schon am 
ersten Tage seines Dienstverhältnisses erkrankt, ferner, ob die Verpflegungs= und Behandlungs- 
kosten in irgendwelchem Verhältnis zu dem Wert der dem Dienstschuldner obliegenden Arbeit 
und zu dessen Lohnansprüchen stehen. III. Das Recht des Lohnabzuges (oben zu #) gilt 
auch dann, wenn der Dienstschuldner während der Pflegezeit seine Dienste fortleistet. IV. Hat 
der Dienstempfänger den Lohn im voraus bezahlt, so tritt an Stelle des Rechts auf den 
Lohnabzug das Recht auf Rückforderung des Lohns. 
10) Schultzenstein, Arch. f. BR. 23 S. 219. 
11) Abw. Ortmann Anm. 24 zu § 617.
	        
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