Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

648 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Forderungen. 
b) Zur sorgfältigen Wahrnehmung der Interessen des Geschäftsherrn ge- 
hört es auch, daß der Geschäftsführer sich an den wirklichen oder mutmaßlichen 
Willen des Geschäftsherrn hält. Denn eines der wesentlichsten Interessen des 
letzteren ist es ja, daß in seinen Geschäften sein eigner Wille maßgebend ist. 
Ist doch auch der vertragsmäßig bestellte Geschäftsführer streng an den Willen 
des Geschäftsherrn gebunden! Somit fällt dem auftraglosen Geschäftsführer, 
der die Geschäftsführung unternimmt oder fortsetzt, obschon er weiß oder wissen 
muß, daß er damit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäfts- 
herrn zuwiderhandelt, ebendadurch ein Verschulden zur Last, und er muß des- 
halb allen Schaden, der dem Geschäftsherrn durch die Geschäftsführung er- 
wächst, erstatten, auch wenn er im übrigen mit größter Sorgfalt gehandelt 
hat und den Schaden gar nicht abzuwenden in der Lage war (678). Dennoch 
darf man nicht sagen, daß er in diesem Fall für Zufall hafte; denn die letzte 
Ursache des Schadens ist doch gewesen, daß er seine Geschäftsführung dem 
Geschäftsherrn schuldhafterweise aufgedrängt hat, war also kein Zufall. 
Jc) Als mutmaßlicher Wille des Geschäftsherrn muß es gelten, daß der 
Geschäftsführer ihm die Ubernahme der Geschäftsführung, sobald es tunlich 
ist, anzeigt und, wenn nicht mit dem Aufschube Gefahr verbunden ist, seine 
Entschließung abwartet. Somit greifen, wenn der Geschäftsführer schuldhaft 
gegen diese Regel verstößt, die Vorschriften zu b ein: der Geschäftsführer ist 
für allen Schaden, der durch die Verzögerung der Anzeige und das Nicht- 
abwarten der Entschließung des Geschäftsherrn entsteht, haftbar, mag ihm auch 
ein sonstiges Verschulden nicht zur Last fallen (s. 681). 
Beispiel. Bankier A. verkauft auftraglos die bei ihm hinterlegten italienischen Staats- 
papiere des B., weil er ungünstige Nachrichten über die italienischen Finanzen empfangen 
hat und einen Sturz des Kurses der Papiere erwartet; die Nachrichten sind aber unwahr: 
der Kurs steigt, statt zu fallen; so erleidet B. durch den Kauf seiner Papiere einen Schaden 
von 3000 Mk., um so schmerzlicher für ihn, als er Italiener ist und auch bei dem stärksten 
Niedergange des Kurses die Papiere festgehalten haben würde. Hier ist A. ersatzpflichtig: 
1. wenn er die Unwahrheit jener Nachrichten hätte erkennen müssen; 2. wenn er Zeit hatte, 
zuvor bei B. anzufragen und dessen Entschließung abzuwarten; 3. wenn er die unbedingte 
Anhänglichkeit des B. an italienische Papiere hätte kennen oder mutmaßen müssen. Trifft 
dagegen keine dieser Voraussetzungen zu, so muß B. seinen Schaden ersatzlos tragen. 
2. Die Regeln zu 1 erfahren in zwei Fällen eine Anderung zugunsten 
des Geschäftsführers. 
a) Wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren 
Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt oder eine gesetzliche Unterhaltspflicht 
des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt werden würde, bleibt die Regel zu 
1b und teilweise auch die zu lc außer Betracht: darin allein, daß der Ge- 
schäftsführer gegen den mutmaßlichen Willen, vielleicht sogar gegen ein aus- 
drückliches Verbot des Geschäftsherrn einschreitet oder daß er die eignen Ent- 
schließungen des Geschäftsherrn nicht abwartet, liegt alsdann noch kein Ver- 
schulden (s. 679). 
b) Bezweckt die Geschäftsführung die Abwendung einer dem Geschäfts-
	        
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