Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

668 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Folgerungen. 
Beispiel. Es genügt, daß eine der Parteien ihren angeblich fälligen Anspruch auf 
einen Tag stundet oder lediglich die erhobene Klage zurückzieht, während die Nachgiebigkeit 
der Gegenpartei sich auf materielle Ansprüche im Wert von vielen tausend Mark bezieht. 
Selbstverständlich muß aber die Nachgiebigkeit, so gering sie sein mag, beiderseits eine ernst- 
liche sein. 
II. Gegenstand des Vergleichs können Rechtsverhältnisse jeder Art sein, 
also nicht bloß obligatorische, sondern auch dingliche Rechtsverhältnisse, Urheber— 
rechte, Erbrechte usp. Ob das Rechtsverhältnis tatsächlich bestanden hat und 
rechtswirksam war, ist gleichgültig; ist es doch häufig gerade der Zweck des 
Vergleichs, den Streit der Parteien über diese Frage abzuschneiden. Wohl 
aber muß das Rechtsverhältnis seiner Art nach der Verfügung der Parteien 
unterstehn. Sonach ist ein Vergleich über Familienverhältnisse der Regel 
nach unzulässig. Ebensowenig kann ein unsittlicher Vertrag, ein Spielvertrag, 
eine Wette durch einen Vergleich rechtsgültig gemacht werden. 
III. Der Abschluß des Vergleichs geschieht formlos, es sei denn, daß der 
Inhalt der Parteivereinbarung — es wird vergleichsweise ein Grundstück ver- 
äußert, es wird ein formloses Schenkungsversprechen vergleichsweise bestätigt 
usw. — eine Ausnahme bedingt. 
IV. 1. Der Vergleich ist seinem Wesen nach ein gegenseitiger Vertrag. 
2. Der Vergleich will die streitigen oder ungewissen Rechtsverhältnisse 
der Parteien im Wege rechtsgeschäftlicher Festsetzung neu ordnen. Wie er dies 
macht, hängt von der Willkür der Parteien ab. Demnach ist keine Rede da- 
von, daß die Parteien die Gültigkeit ihres Vergleichs nachträglich in Frage 
ziehn können, weil er die streitigen Rechtsverhältnisse unrichtig oder unbillig 
geordnet habe. Ist doch der Vergleich kein Urteil! Will er doch den Partei- 
streit abschneiden, nicht aber nach Recht und Billigkeit entscheiden! 
3. Demnach sind die Rechtsverhältnisse der Parteien fortab ausschließlich 
nach dem Inhalt ihres Vergleichs zu beurteilen. Nur soweit der Vergleich 
Lücken enthält, ist auch auf den früheren Bestand der Rechtsverhältnisse zurück- 
zugreifen: denn daß der Vergleich novatorisch wirken, d. h. die Rechtsverhält- 
nisse der Parteien von Grund aus neu ordnen und ein Zurückgreifen auf den 
früheren Zustand unbedingt ausschließen wolle, läßt sich nur annehmen, wenn 
es besonders vereinbart ist. 
Beispiel. A. und B. verwandeln eine dem B. gegen A. zustehende Kaufpreisforderung 
von 1000 Mk. vergleichsweise in eine Darlehnsforderung von 900 Mk.; vor dem Vergleich 
hatte A. dem B. für die Kaufpreisforderung ein Pfand bestellt. Da dies Pfandrecht im 
Vergleich nicht erwähnt ist, dauert es fort; doch ist es jetzt auf die Darlehnsforderung des 
B. übertragen, gilt also nur auf den Betrag von 900 Mk. 
4. Der Vergleich kann wie jeder andre Vertrag wegen Irrtums, Zwanges, 
Betruges usw. angefochten werden. Außerdem ist er wegen Irrtums“ von 
Gesetzes wegen, also ohne besondre Anfechtung seitens der Parteien, unwirksam, 
wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (779). 
4) Hedemann, Vergleichsirrium (03).
	        
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