Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 160. Vergleich. 669 
a) Der Irrtum muß einen Punkt betreffen, den beide Parteien als fest- 
stehend, also weder als streitig noch als ungewiß, behandelt haben. 
Beispiel. Dem A. ist von B. 1899 im Gebiet des vormals gemeinen Rechts rechts- 
gültig durch Privaturkunde eine Schenkung zugesagt: nach B.s Tode streitet dessen Erbe 
C. mit A. über die Höhe der Zuwendung, da die Urkunde schwer zu lesen ist und C. nur 
100, A. dagegen eine größere Zahl bis zu 1000 Mk. als Betrag der Schenkung herausliest; 
schließlich vergleichen sich C. und A. mittels gerichtlicher Urkunde auf den Betrag von 
300 Mk. I. Dieser Vergleich bleibt gültig, auch wenn später ein Schriftverständiger den 
Betrag der Schenkung zweifelsfrei auf 700 Mk. feststellt; denn der dadurch erwiesene Irrtum 
der Parteien betrifft gerade den von ihnen als nicht feststehend behandelten Punkt. II. Da- 
gegen wäre der Vergleich unwirksam, wenn der Schriftverständige den Betrag der Schenkung 
bestimmt auf 2000 Mk. angibt; denn die Parteien haben als feststehend angesehn, daß die 
Schenkung sich auf höchstens 1000 Mk. belaufe. III. Ebenso wäre der Vergleich unwirksam, 
wenn sich später herausstellte, daß die schwer leserliche Urkunde nur eine Abschrift war, 
während die Urschrift deutlich auf den Betrag von 100 Mk. geht. 
b) Der Irrtum muß die Ursache oder wenigstens die Voraussetzung des 
Streits oder der Ungewißheit gewesen sein, wegen deren die Parteien sich ver- 
glichen haben, derart, daß, wenn die Parteien den wahren Sachverhalt gekannt 
haben würden, der Streit oder die Ungewißheit gar nicht entstanden wäre. 
Beispiele sind die zu a II, III genannten Fälle. Ist dagegen in dem Fall a III die 
Urschrift der Schenkung ebenso schwer zu lesen wie die ihr genau nachgebildete Abschrift, so 
bleibt der Vergleich wirksam, weil alsdann auch bei Kenntnis der Sachlage der nämliche 
Streit geherrscht hätte. 
Nicht selten wäre den Parteien, wenn sie den wahren Sachverhalt gekannt hätten, zwar 
der Streit, dessentwegen sie sich verglichen haben, erspart gewesen; dafür wären sie aber in 
einen andern, vielleicht noch schlimmeren Streit geraten. Dennoch ist ihr Vergleich unwirksam; 
denn er sollte nicht jedem möglichen, sondern nur einem bestimmten, konkreten Streit ein 
Ende machen; als Beispiel dient der Fall zu a II, sobald der Schriftverständige erklärt, 
die Schenkung gehe gewiß auf mehr als 1000, nämlich auf 2000 oder auf 4000 Mk. Geht 
der Vergleich auf mehrere Streitpunkte, so ist er unwirksam, wenn der Irrtum auch nur 
einen der Punkte betrifft. War etwa in dem Fall a II nicht bloß die Höhe der Schenkung, 
sondern auch die Zeit, zu der die Auszahlung erfolgen sollte, schwer zu lesen und haben sich 
die Parteien hierüber gleichfalls verglichen, so ist auch dieser Teil des Vergleichs unwirksam, 
selbst wenn der Schriftverständige über die Auszahlungszeit keine Aufklärung geben kann. 
c) Im übrigen kommt es auf die Art des Irrtums nicht an. Deshalb kann auch 
ein Rechtsirrtum genügen.“ Beispiel: im Falle a ist die Annahme beider Parteien, die 
Schenkung B.a sei nach „gemeinem“ Recht zu beurteilen und deshalb gültig, rechtsirrtümlich, 
die Schenkung unterliegt vielmehr dem preußischen Recht und ist ungültig; hier ist der Ver- 
gleich unwirksam; denn hätte C. dies gewußt, so wäre der Streit über die Höhe der 
Schenkung gar nicht entstanden, C. hätte vielmehr die Erfüllung der Schenkung ganz ab- 
gelehnt. — Auch die Auffindung neuer Beweismittel kann den Vergleich unwirksam machen, 
wenn der Mangel dieser Beweismittel von beiden Vergleichsparteien als feststehend ange- 
nommen war. 
5) RG. 61 S. 321. 
6) Planck-Strecker, Anm. Ze zu § 779. Abw. Endemann 1 § 193 .
	        
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