Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

8 161. Anerkenntnisvertrag. 671 
sie diese Mehrheit rechnungsmäßig (durch Zusammenzählen, Abziehn usw.) auf eine Einheit 
zurückführen. Ein freies „Abschätzen“ ist von einem „Abrechnen“ jedenfalls verschieden. 
c) Wenn ein Schuldverhältnis zu seiner Neubegründung einer strengeren 
Form als der Schriftform bedarf, gilt das gleiche Formerfordernis auch dann, 
wenn das Schuldverhältnis als bereits bestehend anerkannt wird. Insbesondre 
kann die Verpflichtung aus einem Schenkungsversprechen nur durch gerichtliche 
oder notarielle Urkunde anerkannt werden (781 Satz 2). 
Die Formvorschriften zu 1 sind wohl begründet. Denn da der Beweis der tatsäch- 
lichen Unrichtigkeit des Anerkenninisses ausgeschlossen ist, kann der Anerkenntnisvertrag dem 
Anerkennenden höchst gefährlich werden. Dies um so mehr, als gegenüber einem Geständnis 
der Beweis der Unrichtigkeit statthaft ist, und unser Volk die feine Unterscheidung von Ge- 
ständnis und Anerkenntnis keineswegs richtig zu würdigen weiß. So ist es also heilsam, 
daß das Gesetz durch seine Formvorschrift den Abschluß von Anerkenntnisverträgen 
erschwert. 
2. Die Annahme des Anerkenntnisses durch die Gegenpartei kann formlos 
geschehn. Meist wird sie stillschweigend abgegeben. 
IV. 1. Der Anerkenntnisvertrag ist bald ein einseitiger, bald ein gegen- 
seitiger Vertrag. 
2. Der Anerkenntnisvertrag gibt vor, die Rechtsverhältnisse der Parteien 
nur zu bestätigen, nicht abzuändern. In Wirklichkeit geht er aber über diesen 
bescheidenen Inhalt häufig weit hinaus und erstrebt, gerade wie der Vergleich, 
eine Neuordnung der beiderseitigen Rechtsverhältnisse; zu diesem Behuf ändert 
er trotz seiner konservativen Maske die bestehenden Rechtsverhältnisse nach Gut- 
dünken ab und begründet sogar völlig neue Rechte und Verbindlichkeiten. Dem- 
gemäß ist gegen den Anerkenntnisvertrag der Einwand, das Anerkenntnis sei 
unwahr, die beiderseitigen Rechtsverhältnisse seien in Wirklichkeit von ganz 
andrer Art, als das Anerkenntnis besage, gerade ebenso ausgeschlossen wie beim 
Vergleich der Einwand der Unrichtigkeit oder Unbilligkeit. 2 
Tatsächlich sind Verträge, die ein wahrheitswidriges Anerkenntnis enthalten, sehr häufig. 
Das ist auch leicht begreiflich. Denn die Wahrheit zu bekennen, kann für die Parteien an- 
stößig oder unbequem sein. So pflegen die Parteien z. B. eine verwickelte Geldverpflichtung, 
die aus einem Kauf, einem Gesellschaftsverhältnis, einem Vermächtnis, einer strafbaren 
Handlung entspringt, als Darlehnsschuld anzuerkennen, weil sie sie damit wesentlich ver- 
einfachen (s. 607 II). 5 
3. Demnach sind die Rechtsverhältnisse der Parteien fortab ausschließlich 
nach dem Inhalt des Anerkenntnisses zu beurteilen. Nur soweit das Aner- 
kenntnis Lücken enthält, kann auch auf den frühern Bestand der anerkannten 
Rechtsverhältnisse zurückgegriffen werden; daß dies unzulässig sei, weil das 
Anerkenntnis „novatorisch“ wirke, d. h. das frühere Rechtsverhältnis vollständig 
zerstöre, ist ebensowenig anzunehmen wie beim Vergleich. 
4. Der Anerkenntnisvertrag kann wie jeder andre Vertrag wegen Irr- 
tums, Zwanges usw. angefochten werden. Auch kann er wegen ungerecht- 
fertigter Bereicherung des (angeblichen) Gläubigers in gleicher Art rückgängig 
2) R. 57 S. 322. 3) Klemperer bei Gruchot 43 S. 567.
	        
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