678 Buch II. Abschnitt 2. Einzelne Arten der Forderungen.
Abzulehnen ist die Lehre, daß unter den Schutzgesetzen im Sinn der Regel zu b nur
Gesetze zu verstehn seien, die den Schutz ganzer Personenklassen bezwecken. Im Gegenteil
gehören auch Gesetze hierher, die, wie z. B. der Beleidigungsparagraph des Strafgesetzbuchs,
bloß dem Schutz einzelner Individuen dienen sollen. 1
J) Bei den unsittlichen Delikten geschieht die Schädigung dadurch, daß
der Urheber des Delikts die gute Sitte verletzt (826).17 Der Bereich dieser
Delikte ist also gerade so groß wie der Bereich der von der herrschenden An-
schauung anerkannten Sittengebote; die Folge ist, daß jede Anderung dieser
Gebote, auch wenn kein Gesetz des bürgerlichen oder des Straf= und Ver-
waltungsrechts ihr eine formelle Anerkennung zuteil werden läßt, mittelbar
auch das bürgerliche Deliktsrecht abzuäündern vermag. Ob die Delikte sich ge-
rade auf die zu a genannten Rechtsgüter beziehn, ist, gerade wie bei den Schutz-
gesetzverletzungen, ohne Belang.
Beispiele. I. Eine sehr große Zahl von Theaterdirektoren haben einen Vertrag dahin
geschlossen, 1# daß sie einen Schauspieler, der bei einem der Vertragsgenossen kontraktbrüchig
wird, ohne Zustimmung des von dem Kontraktbruch betroffenen Direktors niemals beschäftigen
dürfen; auf Grund dieses Vertrages meldet Direktor A. den Schauspieler B. bei den Vertrags-
genossen als kontraktbrüchig an, und B. findet infolgedessen keine Beschäftigung. Hier liegt
ein unsittliches Delikt des A. gegenüber dem B. vor; denn eine derartige maßlose Bestrafung
des B. für seinen Kontraktbruch ist gegen die gute Sitte. II. Dagegen läge ein Delikt
nicht vor, wenn der Eingangs erwähnte Vertrag die Folgen eines Kontraktbruchs milder
bestimmte, also etwa angäbe, daß der kontraktbrüchige Schauspieler sich durch Zahlung einer
mäßigen Vertragsstrafe wieder rehabilitieren könne. III. Sollte sich in der Volksmeinung
ein Umschwung dahin vollziehn, daß es allgemein für unsittlich angesehn wird, wenn jemand
die Dienstboten eines andern ausmietet, so wäre damit zugleich ein neues Delikt, die vor-
sätzliche Schädigung eines Dienstherrn durch Ausmieten seines Gesindes, geschaffen. Dagegen
wird zurzeit nicht das Ausmieten als solches, sondern nur der Gebrauch von Drohmitteln,
Lügen u. dgl. zum Zweck des Ausmietens als unsittlich angesehn, und es ist deshalb auch
nur ein mit derartigen Kunstgriffen betriebenes Ausmieten ein Delikt.
2. Ebenso verschieden gestaltet sich bei allen drei Deliktsgruppen das
Merkmal, daß jedes Delikt eine unerlaubte Handlung ist.
a) Bei den gewöhnlichen Delikten spielt dies Merkmal eine sehr große
Rolle. Denn es gibt zahlreiche und wichtige Fälle, in denen die Verletzung
von Leben, Körper, Eigentum usw. eines andern gesetzlich erlaubt und eben des-
halb kein Delikt ist.
o) Erlaubt ist eine solche Handlung, wenn der Geschädigte oder dessen
Vertreter im voraus in sie eingewilligt hat. Doch muß die Einwilligung eine
rechtsgültige, der Geschädigte also voll geschäftsfähig und zur Verfügung über
das verletzte Rechtsgut berechtigt gewesen sein.
6) Erlaubt ist eine solche Handlung, wenn der Täter zu ihrer Vornahme
ein Recht gehabt hat oder als Geschäftsführer ohne Auftrag von dem Ver-
letzten die nachträgliche Genehmigung der Handlung fordern kann (s. 633).1
16) Abw. Detmold in der Göttinger Festschrift für Regelsberger S. 317.
17) R. 53 S. 176, 54 S. 258, 55 S. 372, 56 S. 278, 57 S. 418, 58 S. 219, 397.
60 S. 94, 64 S. 53, 65 S. 333, 424, 66 S. 379, 67 S. 169, 69 S. 280. Dalberg, rechts-
kräftiges Urteil u. Verstoß gegen die guten Sitten (Diss. 10).
18) Rö. 57 S. 418, 71 108. 19) Zitelmann, Arch. f. ziv. Pr. 99 S. 1.