§ 163. Unsittliche Delikte. Erlaubte Handlung kein Delikt. 679
7) Erlaubt ist eine solche Handlung endlich noch aus andern Gründen,
insbesondre wenn der Täter in rechtmäßiger Notwehr oder in rechtmäßigem
Notangriff (227, 229) gehandelt hat.
Beispiele. I. 1. Wenn A. den Hund Tell des B. vergiftet, so ist das regelmäßig
kein Delikt, falls B. in die Vergiftung eingewilligt hatte; denn so gut wie B. seinen eignen
Hund selber vergiften darf, so gut kann er es auch rechtsgültig einem andern erlauben.
2. a) Wenn C. den D. tötet, so kann dies ein Delikt auch dann sein, wenn D. den C.
ernstlich und dringend darum gebeten hatte; denn D. ist nicht imstande, über sein Leben
rechtsgültig zu verfügen.:0 b) Ebenso kann auch im Fall 1 die Vergistung des Tell trotz
der Einwilligung des Eigentümers B. wenigstens ausnahmsweise ein Delikt sein, z. B.
wenn B. minderjährig war und ohne Zustimmung seines Vormundes handelte oder wenn er sich
erkennbar nur versprochen hatte, da er nicht in die Vergiftung des Tell, sondern eines andern
Hundes einwilligen wollte und nun nachträglich die Einwilligung wegen Irrtums anseicht.
II. 1. Wenn E. des Nachts die Tür seines Hauses schließt, so daß sein Dienstbote F. das
Haus nicht verlassen kann, so ist das kein Delikt (Verletzung der Freiheit des F.l), weil E.
ein Recht darauf hatie, sein Haus nachts verschlossen zu halten. 2. Wenn der Arzt G. die
Operation des H. eigenmächtig weiter ausdehnt als vereinbart war, da die sofortige Aus-
dehnung sich im Lauf der Operation als zweckmäßig herausstellt, H. aber in der Narkose
nicht um seine Einwilligung angegangen werden kann, so ist das kein Delikt, weil G. hier
von H. die nachträgliche Genehmigung seines Verhaltens beanspruchen konnte (s. 683).21
III. Wenn J. eine Fensterscheibe eines in Brand geratenen Eisenbahnwagens zerschlägt, um
sich aus dem Wagen zu retten, so ist das kein Delikt, weil erlaubt (228).
Dagegen ist für die Deliktsnatur einer Handlung unerheblich die nachträgliche
Genehmigung der Handlung durch den Verletzten (es sei denn, daß die Handlung in einem
Rechtsgeschäft bestände und durch die Genehmigung rückwirkend gültig würde); eine solche
Genehmigung ist also nur als Verzicht des Verletzten auf seinen Anspruch aus dem Delikt
aufzufassen und bedarf demgemäß der Annahme seitens des Deliktschuldners.?
b) Umgekehrt ist das Merkmal der Unerlaubtheit ohne jede selbständige
Bedeutung bei den Schutzgesetzverletzungen. Denn bei ihnen ergibt sich die
Unerlaubtheit schon daraus, daß sie einem Schutzgesetz zuwiderlaufen: eine
perlaubte" Verletzung eines Schutzgesetzes wäre ein Begriff, der sich selber
widerspräche.
Beispiel. Wenn A. den B. in Notwehr verwundet, so kann man sehr wohl sagen, daß
er den Körper des B. erlaubtermaßen verletzt, nicht aber auch, daß er dem Schutzgesetz, das
die Körperverletzung verbietet, erlaubtermaßen zuwidergehandelt hat. Vielmehr liegt eine
Zuwiderhandlung gegen jenes Schutzgesetz überhaupt nicht vor, da dieses von vornherein für
eine Körperverletzung in Notwehr gar nicht gelten will.
) Bei den unsittlichen Delikten ist das Merkmal der Unerlaubtheit zwar
nicht ganz bedeutungslos,# aber doch von sehr geringer Wichtigkeit.
a) Daß die unsittliche Schädigung eines andern erlaubt wäre, weil der
Geschädigte in sie eingewilligt hätte, ist ausgeschlossen. Denn eine solche Ein-
willigung wäre nichtig (138 1).
6) Daß die unsittliche Schädigung eines andern erlaubt sein könnte, weil
20) RG. 66 S. 308.
21) Zitelmann a. a. O. S. 106.
22) Siehe Zitelmann a. a. O. S. 102.
23) Siehe auch RG. 59 S. 105.