54 Buch I. Abschnitt 1. Die Rechtsregeln.
heitsrecht nur subsidiär hinter den Regeln der Reichsgesetze, also bloß zu ihrer
Ergänzung, nicht aber im Widerspruch zu ihnen Geltung haben soll,“
2. die Vorschrift des badischen und sächsischen Rechts,“ daß die Gewohn-
heit überhaupt nicht als Rechtsquelle anzuerkennen sei.
III. Ein Recht der Wissenschaft ist neben dem Gesetzes= und Gewohn-
heitsrecht gleichfalls schon in alter Zeit in Geltung gewesen. Doch ist es bis in
die Gegenwart hinein meist unbewußt geübt worden. Insbesondre sind die
Regeln, die dem Bedürfnis des Rechtslebens entnommen waren, fast immer
unter irgendeiner Maske aufgetreten: man war bemüht, ihnen dadurch eine
höhere Weihe zu erteilen, daß man sie in gekünstelter Auslegung auf irgend-
welche Gesetzesvorschriften zurückführte oder sie als altes Herkommen ausgab.“
IV. Die Regel, daß die Gerichte bei der Auslegung der Gesetze mit
wissenschaftlicher Freiheit verfahren müssen und nicht am Gesetzeswortlaut kleben
dürfen, ist spätestens seit der Rezeption des römischen Rechts anerkannt. Nur
ganz vorübergehend war sie in Preußen durch die Vorschrift durchbrochen, daß
die Gerichte, wenn sie vom Gesetzeswortlaut abgehen wollten, die Entscheidung
der Gesetzgebungskommission anzurufen hatten.7
V. Eine lange Rechtsgeschichte hat das internationale Privatrecht.
1. In der ältesten Zeit war es unbekannt: jedes Gericht wendete nur sein
eignes, heimisches Recht an s (Territorialitätsprinziy).
2. Im fränkischen Reich wurde wenigstens für alle Rechtsgebiete, die mit
dem Reich in politischer Verbindung standen, die gegenteilige Regel durchgeführt:
jeder Reichsangehörige wurde in allen diesen Rechtsgebieten bezüglich seiner
sämtlichen Rechtsverhältnisse nach dem Recht des Stammes beurteilt, dem er
durch seine Geburt angehörte" (Personalitätsprinzipy).
3. Im Mittelalter ließ man das Personalitätsprinzip nur für Regeln
gelten, die sich auf das Personenrecht bezogen (statuta personalia), unterwarf
dagegen die Gerechtsamen, die mit dem Grundbesitz zusammenhingen, den Ge-
setzen des Gebiets, in dem das Grundstück lag (statuta realia); im übrigen
kehrte man zu dem reinen Territorialitätsprinzip zurück. 10
4. Im Lauf der Zeit erklärte man außer den statuta personalia und
realia noch gewisse andre ausländische Gesetze für anwendbar, z. B. im Ver-
tragsrecht die Formvorschriften des Orts, wo der Vertrag geschlossen war
(statuta mixta). Auch änderte man das Personalitätsprinzip dahin ab,
daß man in seinem Bereich nicht das Recht des Stamms oder Staats, dem
4) Altes HGB. 1 (stillschweigend aufgehoben durch das neue HG.).
5) Sächs. bürgerl. G. 28 (aufgehoben durch sächs. Ausf Ges. 53); bad. Einf. Edikt II, 3
(aufgehoben durch bad. Auss Ges. 39).
6) Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz (83).
7) Pr. LR. Einl. § 46 ff. abgeändert durch Anhang § 2.
8) Brunner, Rechtsgeschichte 2. Aufl. (06) S. 384.
9) Beispiel: lex Rib. 31, 3, 4.
10) Stobbe, Jahrb. f. gem. R. 6 S. 21.