§ 169. Vorlegung von Sachen und Urkunden. 713
dann darf man sagen, daß er „wegen dieses Anspruchs“ ein Interesse an der
Besichtigung der Sache habe.
Beispiel. A. hat von seinem Bruder B. einige Ahnenbilder geerbt; gleich nach B.s
Tode werden zwei der Bilder gestohlen. Hier ist A. keineswegs berechtigt, in alle Gemälde-
sammlungen Deutschlands einzudringen, um nach seinen Ahnen zu suchen, sondern kann nur
da Eingang fordern, wo sich Gemälde befinden, die erweislich erst nach B.s Tode erworben
und den gestohlenen Bildern ähnlich sind. Erklärt A., er könne die Bilder nicht beschreiben,
da sie seit seiner Kinderzeit stets verhangen gewesen wären, er würde sie aber, sobald er sie
sehe, sofort wiedererkennen, so kann er auf Grund der Regel zu 1 einen Anspruch wegen
der Bilder überhaupt nicht erheben. Das Gleiche ist der Fall, wenn A. die Bilder nicht
geerbt hat, sondern als Vermächtnis empfangen soll; denn alsdann hat er nur einen An-
spruch auf Ubergabe der Bilder gegen die Erben B.s, nicht aber einen Anspruch gegen den
jetzigen angeblichen Besitzer.
3. Wenn das erweisliche Interesse des Berechtigten es verlangt, muß der
Besitzer ihm nicht bloß die Besichtigung der Streitsache (passiv) gestatten, sondern
die Sache ihm sogar zur Besichtigung (aktiv) vorlegen; und zwar muß er dies
an dem Ort tun, wo zu der Zeit, da die Vorlegung rechtmäßig gefordert
wird, die Sache sich befindet; aus wichtigen Gründen können aber beide Parteien
die Vorlegung an einem andern Ort fordern (809, 811 I.
Man nehme etwa im vorigen Beispiel an, daß die Bilder sehr dunkel aufgehängt und
deshalb nicht genau zu erkennen sind oder daß sie in dem nämlichen Saal mit andern
Bildern hängen, die der Besißer dem A. keineswegs zu zeigen gedenkt; ersterenfalls kann.
A. die Vorlegung in einem helleren Raum fordern, letzterenfalls darf der Besitzer die Vor-
legung in der Stube seines Kastellans anbieten. — Die Gefahr und Kosten der Vorlegung
hat in jedem Fall der zu tragen, der die Vorlegung fordert; der Besiteer kann die Vor-
legung verweigern, bis jener ihm die Kosten vorschießt und wegen der Gesahr Sicherheit
leistet (811 1).
II. 1. Auch der Besitzer einer Urkunde ist verpflichtet, die Einsicht darein
auf Erfordern zu gestatten. Berechtigt zu diesem Verlangen ist aber nicht
bloß, wer gerade in Ansehung der Urkunde als einer gewöhnlichen körperlichen
Sache einen Anspruch verfolgt, sondern auch, wer ein rechtliches Interesse an
dem Inhalt der Urkunde hat, vorausgesetzt, daß entweder die Urkunde gerade
in seinem Interesse errichtet ist oder wenigstens über ein zwischen ihm und
einem andern bestehendes Rechtsverhältnis Auskunft gibt oder Verhandlungen
über ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen ihm und einem andern oder
zwischen einem von beiden und einem gemeinschaftlichen Vermittler gepflogen
worden sind (810).
Beispiele. I. 1. A. hat ein Testament errichtet, in dem weiter nichts steht, als daß er
den B. zum Erben einsetzt. Hier kann B. die Einsicht von jedem Besiper fordern, etwa von
C., der das Testament irgendwo als Makulatur gekauft hat; wenn also C., der das Testa-
ment unter der Makulatur findet, seinen Fund dem B. in der Hoffnung anzeigt, dieser
müsse das kostbare Dokument ihm zu hohem Preise abkaufen, so irrt er sich sehr; vielmehr
kann B. die unentgeltliche Vorlegung des Testaments fordern. 2. D., der einen Schuldschein
zugunsten des E. ausgestellt hat und befürchtet, er habe durch einen Schreibfehler das
Schuldkapital in dem Schein zu hoch angegeben, kann von E. oder von dem Rechtsanwalt,
bei dem E. den Schein hinterlegt hat, die Vorlegung des Scheins fordern, um nachzusehn,
ob seine Furcht begründet ist. II. 1. Dagegen kann der Bräutigam nicht die Vorlegung
seiner einstmals an die Braut geschriebenen Briefe fordern: denn diese Briefe pflegen nach