Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

58 Buch J. Abschnitt 2. Die Rechte. 
stimmt sich auch noch gegenwärtig nach den vor 1900 in Geltung gewesenen Gesetzen, auch 
wenn die subjektiven Rechte, für die die Entscheidung jener Frage erheblich ist, z. B. das 
Erbrecht des Kindes gegenüber seinem 08 verstorbenen Großvater, erst nach 1900 begründet 
sein sollten. 
Wenn daraus, daß irgendeine Rechtsmacht, die unter der Herrschaft alter Gesetze ent- 
standen ist, durch neu in Kraft tretende Gesetze nicht berührt wird, nicht gefolgert werden 
darf, daß jene Rechtsmacht ein echtes Recht ist, so ist sehr wohl der umgekehrte Schluß zu- 
lässig: wenn ein neu in Kraft tretendes Gesetz eine unter der Herrschaft alter Gesetze ent- 
standene Rechtsmacht ohne weiteres beseitigt und dem Berechtigten nicht einmal eine Geld- 
entschädigung dafür gewährt, ist in der großen Mehrzahl der Fälle anzunehmen, daß jene 
Rechtsmacht von dem neuen Gesetz überhaupt nicht als echtes Recht anerkannt wird. Beispiel: 
die Befugnis eines Ehegatten, aus bestimmten Gründen auf Scheidung seiner Ehe zu klagen, 
ist zwar eine Rechtsmacht, aber kein echtes Recht, weil es grundsätzlich nach den Gesetzen be- 
urteilt wird, die zur Zeit des Scheidungsurteils gelten, nicht nach den Gesetzen, die zur Zeit 
der Begründung jener Scheidungsbefugnis galten (EG. 201 ). 
III. Außer den vom bürgerlichen Recht gewährleisteten subjektiven Rechten 
gibt es auch subjektive Rechte, die vom öffentlichen Recht gewährleistet sind.! 
Um jene von diesen zu unterscheiden, nennt man sie genauer subjektive 
Privatrechte. 
Beispiele. I. Ein subjektives Privatrecht ist das Recht des Eigentümers an seiner 
Sache, die Gewalt des Vaters über seine minderjährigen Kinder. II. Ein subjektives öffent- 
liches Recht ist das Recht des Staats am Staatsgebiet, die Gewalt des Kaisers über die 
Marine. III. Zweifelhaft ist, ob das Recht des Staats an den schiffbaren Strömen, die 
Gewalt des privaten Schiffskapitäns über seine Matrosen ein subjektives Privatrecht oder 
ein subjektives öffentliches Recht ist. 
IV. Jedes Lebensverhältnis, das von einem oder mehreren subjektiven 
Rechten beherrscht wird, ist ein Rechtsverhältnis. Die Summe der 
Regeln des objektiven Rechts, die auf eine bestimmte Art von subjektiven 
Rechten oder Rechtsverhältnissen Bezug haben, ist ein Rechtsinstitut. 
Beispiele. I. Ein Rechtsverhältnis ist die Ehe, nicht aber die Freundschaft. II. Mein 
Eigentum an meiner Uhr ist ein subjektives Recht; das Eigentum überhaupt, abstrakt ge- 
dacht, ist ein Rechtsinstitut. 
II. Inhalt der Rechte. Die Ansprüche.“ 
§l 17. 
I. 1. Analysiert man den Inhalt eines der gewöhnlichen allbekannten 
subjektiven Rechte, so zeigt sich auf den ersten Blick, daß es überaus häufig 
die Macht des Berechtigten enthält, von einer bestimmten andern Person ein 
bestimmtes Verhalten zu verlangen und das Verlangen erforderlichenfalls durch 
Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen. Eine solche Macht wird vom 
Gesetz (194 I) Anspruch genannt. Sie ist von dreifacher Art, indem sie 
entweder 
2) Jellinek, System d. subj. öffentl. Rechte, 2. Aufl. (05). 
1) Hellwig, Anspruch u. Klagrecht (00); Langheineken, Anspruch u. Einrede (03). 
Hölder, Arch. f. c. Pr. 93 S. 1; Bolze in Gruchot 46 S. 753.
	        
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