Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

80 Buch I. Abschnitt 3. Die Rechtsinhaber. 
Person, sondern einer Mehrheit von Personen gemeinsam zusteht. Ja sogar 
ganze Vermögen — Sondervermögen oder im Fall der vollständigen Güter- 
gemeinschaft unter Eheleuten sogar ein Gesamtvermögen — können mehreren 
Personen zusammen gehören. Doch soll auf eine solche Mitberechtigung einer 
Personenmehrheit an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden. Ihre 
Darstellung bleibt vielmehr besser bis auf später aufgespart.“ 
II. Die Menschen als Rechtsinhaber. 
1. Anfang und Ende der menschlichen Persönlichkeit. 
g 24. 
I. 1. Die menschliche Persönlichkeit beginnt mit der vollendeten Geburt 
eines lebenden Kindes (1). Die Geburt ist vollendet, sobald das Kind voll- 
ständig aus dem Mutterleibe ausgetreten ist. 
2. Um den Beginn des Lebens eines Kindes festzustellen, genügen die 
allergeringsten Lebensregungen, vorausgesetzt nur, daß sie noch nach Vollendung 
der Geburt stattgefunden haben. Gleichgültig ist, ob die Lebensregung irgend- 
welche Hoffnung auf ein Weiterleben bietet: ein Kind kann lebendig und doch 
nicht „lebensfähig“ (genauer: „zum Weiterleben fähig") sein! 
Beispiele. I. A. ist ohne Testament verstorben; seine nächsten Angehörigen sind seine 
Witwe und seine Schwester B.; drei Monate später kommt die Witwe nieder; die Geburt ist 
eine so schwere, daß der Geburtshelfer den Schädel des Kindes zertrümmern muß, um das Leben 
der Mutier zu retten. 1. Erster Fall: das Kind kommt infolge des ärztlichen Eingriffs tot zur 
Welt. Hier beerbt die Witwe den A. zu ½, während die andre Hälfte seines Nachlasses an die 
V. fällt (1925, 1931. 1923). 2. Zweiter Fall: das Kind zeigt, obschon Schädel und großes Gehirn 
fast vollständig zerstört sind, vermöge des intakt gebliebenen kleinen Gehirns noch nach der Geburt 
einige Lebensregungen und stirbt erst eine Minute später. Hier wird A. zunächst von der 
Witwe zu ¼, von dem Kinde zu ¾ beerbt (1924, 1931), und die auf das Kind entfallenen 
½¾ gehn eine Minute später auf seine Mutter über (1925); die B. erhält also dank jener 
einen Minute nichts. II. Gleicher Fall wie zu 1: nur ist die Witwe erst im vierten Monat 
schwanger, und die Geburt geht so leicht von statten, daß der Arzt die Frucht nicht zu be- 
schädigen braucht. Hier bedarf es der Unterscheidung der beiden zu 1 genannten Fälle nicht, 
sondern — gleichgültig, ob die Frucht tot zur Welt kommt oder ob der Arzt noch nach der 
Geburt deutliche Lebensregungen (Herzschlag, zuckende Bewegungen der Arme) an der Frucht 
feststellen kann — in jedem Fall erben Frau A. und die B. je ½ des Nachlasses. Denn 
was hier im vierten Monat der Schwangerschaft geboren wird, ist, auch wenn es noch nach 
der Geburt lebt, niemals ein „Kind“, sondern immer nur ein „Embryo“.: Und zwar muß 
als bloßer Embryo jede Frucht gelten, die so unreif ist, daß sie aus diesem Grunde nicht 
weiterleben kann; wenn oben gesagt ist, daß eine Lebendgeburt durch Lebensunfähigkeit der 
Frucht nicht ausgeschlossen wird, ist dies auf den Fall, daß die Lebensunfähigkeit auf Un- 
reife der Frucht beruht, nicht mitzubeziehn. 
Auf der Erwägung, daß eine unreif geborene Frucht kein „Kind“ ist, beruht es auch, 
daß, obschon das RGes. v. 6 Febr. 75 88 17, 23 die standesamtliche Registrierung der Ge- 
burt jedes Kindes, sogar eines totgeborenen, vorschreibt, niemand daran denken wird, diese 
Vorschrift auch auf Fehlgeburten in den ersten Schwangerschaftsmonaten zu beziehn. 
14) Siehe unten Buch V. 1) Hachenburg, BGB. S. 331. 2) Abw. Dernburg, BR. 1 84905.
	        
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