§ 190. Besitzanspruch aus § 1007 bei Gutgläubigkeit des Gegners. 81
Dem sowohl A. wie B. haben ja ihren Besitz an dieser Sache freiwillig aufgegeben. Man
kam demgemäß, wenn man als Hauptbeispiel abhanden gekommener Sachen die „gestohlenen“
nennt, im Gegensatz zu ihnen als Hauptbeispiel nicht abhanden gekommener Sachen die
„veruntreuten“ nennen. b) Das nämliche ist der Fall, wenn B. die Sache aus Übermut,
Ülberdruß oder Bosheit absichtlich fortgeworfen und C. sie sodann, besitzfrei wie sie war, an
sich genommen hat. Denn auch hier war der Besitzverlust sowohl auf seiten des A. wie
des B. ein freiwilliger. c) Dagegen ist die Rechtslage eine andre, wenn eine solche anver-
traute Sache bei B. gestohlen ist oder wenn B. sie verloren oder in sinnloser Trunkenheit
fortgeworfen hat. Denn alsdann ist sofort klar, daß der Besitzverlust wenigstens auf seiten
des B. ein unfreiwilliger und rechtloser ist und also dem B. ein Herausgabeanspruch gegen
jeden zusteht, der die Sache erwirbt. 2. Bei der Entscheidung der drei Fälle zu 1 ist aber
m beachten, daß sie lediglich den unmittelbaren Besitz des A. und B. im Auge hat. Wie
es mit dem mittelbaren Besitz des A. und den daraus entspringenden Besitzansprüchen steht,
wird erst später zu erörtern sein (s. unten § 193c II, 2). III. D. hat dem E. eine Maschine,
die dieser ihm verkauft hatte, aber zu übergeben verweigerte, auf Grund eines vorläufig voll-
streckkaren Urteils durch den Gerichtsvollzieher fortnehmen lassen (3P. 883); später wird
das Urteil in der Berufungsinstanz aufgehoben; inzwischen hat D. die Maschine dem gut-
gläubigen F. verkauft und übergeben. Hier ist die Maschine, weil ihre Fortnahme zwar
gegen den Willen des E., aber durch rechtmäßigen Zwang erfolgt ist, dem E. nicht „ab-
handen gekommen“.
Die Verfasser des BGB.s haben mit der Regel, daß der langfristige Herausgabe-
anspruch gegen einen gutgläubigen Besitzer nur bei abhanden gekommenen Sachen Platz
greise, uns um ein Orakel bereichert. Denn das Wort „abhanden kommen“ hatte in der
bisherigen Rechtssprache keinen bestimmten Sinn, und welchen Sinn es in Zukunft haben
soll, darüber haben sich die Gesetzesverfasser nach Art jedes guten Orakelsprechers sorglich
ausgeschwiegen, aus dem einfachen Grunde, weil sie es selber nicht wußten. Deshalb bin
ich nicht in der Lage zu beweisen, daß meine Auslegung des Worts die richtige sei, sondern
mache nur einen Vorschlag, wie man die von dem Gesetzgeber absichtlich offen gelassene Lücke
ausfüllen könne. Andre machen natürlich andre Vorschläge.
Besondre Schwierigkeiten bieten die Fälle, in denen der Besitzer seinen Besitz rechts-
geschästlich aufgegeben hat, später aber das Rechtsgeschäft für ein nichtiges Scheingeschäft
erklärt oder wegen Irrtums, Betruges oder Bedrohung ansicht. Es liegt hier nahe, allerlei
Unterschiede zu machen, also etwa eine Sache für abhanden gekommen zu halten, wenn der
Besitzer sie durch Verwechslung mit einer andern oder unter dem Druck einer lebensgefähr-
lichen Bedrohung, nicht aber auch dann, wenn er sie zum Schein oder unter dem Einfluß
einer arglistigen Täuschung fortgegeben hat. Doch meine ich, daß es richtiger ist, alle diese
Fälle einheitlich zu entscheiden und vor allem die Entscheidung so zu treffen, daß mindestens
jede Sache, die dem Besitzer durch verbotene Eigenmacht entzogen ist, auch als eine abhanden
gekommene behandelt wird (s. oben S. 74 b).
Über andre zweifelhafte Fälle des Abhandenkommens siehe unten S. 96.
Th) Die Sache muß sich zurzeit im Besitz des Anspruchsgegners befinden
(1007). Ob der Gegner den Besitz an der Sache als an einer abhanden ge-
kommenen erworben hat oder ob sie vorher in die Hand eines Zwischenbesitzers
gelangt war, der sie dann freiwillig fortgegeben, macht keinen Unterschied.
Ebensowenig kommt etwas darauf an, ob der Gegner gewußt hat oder
wenigstens hätte wissen müssen oder wissen können, daß die Sache eine ab-
handen gekommene war.
Beispiele. I. A. hat von der kgl. Bibliothek zu B. einen alten Druck käuflich erworben;
später stellt sich heraus, daß der Druck vor neun Jahren dem C. gestohlen war und seitdem
schon viermal den Besitzer gewechselt hatte. Hier kann C. von A. die Herausgabe des Drucks
fordern, auch wenn A. und alle Zwischenbesitzer mit Ausnahme des Diebes ihr in bestem
Cosack, Bürgerl. Recht, 5. Aufl. II.