§ 190. Besitzanspruch aus 8 1007. 83
Dem Fall, daß der Anspruchsberechtigte den Besitz „aufgegeben“ hat, ist der Fall
gleichzustellen, daß er das Recht auf Wiedererlangung des Besitzes in andrer Art eingebüßt
hat. Im Gesetz ist das freilich nicht ausdrücklich gesagt, aber wohl nur aus Versehn, weil
der Gesetzgeber sich die Frage nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit vorgelegt hat. —
Beispiel. Dem A. ist vor 29 Jahren ein ihm gehöriges Gemälde gestohlen; vor 27 Jahren
hat B. das Bild gutgläubig erworben und ist 25 Jahre lang im ruhigen Besitz des Bildes
geblieben; dann ist das Bild abermals gestohlen und vor einem Jahr von C. gleichfalls
gutgläubig erstanden. Hier ist der Herausgabeanspruch des A. aus 1007 gegen B. nach
der oben zu e genannten Regel in dem Augenblick erloschen, in dem B. die Ersitzung des
Bildes vollendet hatte und damit Eigentümer des Bildes geworden war. Daraus ist aber,
obschon das Gesetz es nicht bestimmt, zu folgern, daß, als später der zweite Dieb und noch
später C. in den Besitz des Bildes kam, A. einen Herausgabeanspruch aus 1007 gegen diese
beiden nicht erlangt hat; denn nachdem A. den Herausgabeanspruch gegen B. für immer
verloren hatte, geht ihn der Diebstahl bei B. gar nichts mehr an.
2. Soweit das Gesetz das Hauptgewicht auf die Art legt, in der der
jetzige Besitzer seinen Besitz erworben hat, werden die zu 1 genannten Vor-
aussetzungen des Anspruchs nur mit folgenden Abänderungen beibehalten.
a) Die Ausnahme in Ansehung der Geldstücke und Wertpapiere wird ge-
strichen (s. 1007 I, 10.
Beispiel unten zu c.
b) Daß die Sache dem Anspruchsberechtigten oder seinem Rechtsvorgänger
nachweislich abhanden gekommen ist, wird nicht vorausgesetzt. Doch darf nicht
etwa umgekehrt feststehn, daß die Sache ihm nicht abhanden gekommen ist; der
Anspruch ist also ausgeschlossen, sobald bewiesen wird, daß der Anspruchs-
berechtigte oder sein Rechtsvorgänger den Besitz freiwillig aufgegeben (1007 III)
oder durch rechtmäßigen Zwang eingebüßt hat.
Beispiel. A. hat in augenblicklicher Geldverlegenheit, ohne seiner Familie etwas davon
mitzuteilen, das Perlenhalsband seiner verstorbenen Frau an B. veräußert und ist gleich
darauf selber gestorben; 1903 hat C. das Halsband bei B. gestohlen und weit unter dem
Wert an D. verkauft; gelegentlich einer Haussuchung wird es 1911 bei D. gefunden; D.
sieht sich sofort zu dem Geständnis veranlaßt, daß er beim Erwerbe der Perlen gewußt habe,
sie seien gestohlen, kann aber weder den Namen des Diebes noch den des Bestohlenen nennen;
als der Fund bekannt wird, fordert E. als Erbe des A. die Herausgabe des Halsbandes.
Hier ist E. selbstverständlich im Unrecht, weil A. den Besitz des Halsbandes freiwillig auf-
gegeben hat. Trotzdem wird er aller Wahrscheinlichkeit nach mit seinem Anspruch durch-
dringen. Denn beweispflichtig ist nicht er für die Unfreiwilligkeit, sondern D. für die Frei-
willigkeit des Besitzverlustes auf seiten A.s. Und wie soll D., der die Verhältnisse des A.
nicht kennt, diesen Beweis erbringen?
Keiner besondern Erwähnung bedarf es, daß unfre Regel zu b in allen ihren Teilen
zweifelhaft ist. Insbesondre kehren sämtliche früher schon angedeuteten Zweifel über den
Begriff der abhanden gekommenen Sache hier von neuem wieder.
c) Der Gegner muß bei seinem Besitzerwerbe in schlechtem Glauben ge-
wesen sein (1007 0), d. h. er muß damals gewußt oder nur infolge grober
Fahrlässigkeit nicht gewußt haben, daß sein Erwerb ein unberechtigter war
(. 932 U,).
Beispiel. Bei A. ist ein Kasten gestohlen, in dem sich unter anderm ein Armband
unzd ein Tausendmarkschein befanden; der Dieb hat das Armband an B. veräußert und bei B.
außerdem den Tausendmarkschein gegen kleineres Geld eingewechselt; B. hätte nach Lage des Falls
6*