88 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
4. Gleichgültig ist, ob der vormalige oder jetzige Besitz der zur Selbst-
hülfe schreitenden Person im Verhältnis zum Gegner ein „fehlerhafter“ ist:
durch die Fehlerhaftigkeit ihres Besitzes büßt sie zwar, wie wir gesehn haben,
die Besitzansprüche wider den Gegner ein, bleibt aber zur Besitzselbsthülfe
befugt.
Beispiel. In dem oben S. 79 Abs. 2 zu 1, 3 genannten Fall kann A. den Stein-
regen des B. zwar nicht mit einer Besitzklage, wohl aber mit Gewalt abwehren; er kann
ihm nicht den Prozeß machen, aber ihn zum Krüppel schlagen.
II. Das Ziel der Selbsthülfe ist, solange der Eingriff noch im Werk ist,
die Abwehr des Eingriffs: die Selbsthülfe dient alsdann bloß zur Verteidi-
gung (859 1). Ist der Besitzer aber durch verbotene Eigenmacht aus seinem
Besitz verdrängt, so kann er zum Angriff übergehn: er kann den ihm ge-
nommenen Besitz gewaltsam zurückerobern (859 II, III). Gerade hierin liegt
die Stärke seines Selbsthülferechts; denn andre Rechtsinhaber dürfen sich einen
solchen Angriff nur in Notfällen gestatten, wenn Gefahr im Verzuge und
obrigkeitliche Hülfe nicht zu erlangen ist (229).
Beispiele s. zu I, 3.
Zweifelhaft ist, ob der Besitzer auch eine bereits vollendete Störung seines Besitzes ge-
waltsam wieder beseitigen kann; Beispiele: A. haut einen Baum um, den der Nachbar B.
auf der Grenze gepflanzt; er schneidet die Dachrinne ab, die B. bis hart an die Grenze
geführt hat, so daß die volle Traufe auf A.s Grundstück geht; er schafft den Unrat, den B.S
Leute auf sein Grundstück geworfen haben, in B.s Garten zurück. Der Zweifelspunkt ist
namentlich, daß eine Fristbestimmung für diese Art der Selbsthülfe fehlt (s. oben zu I, 3).
III. Die Ermächtigung zur Selbsthülfe wird dadurch nicht berührt, daß
dem Gegner in Ansehung der Streitsache ein auch gegen den Besitzer wirk-
sames Recht zustand und er mit seiner Besitzentziehung oder Besitzstörung
lediglich dies Recht geltend machen wollte, es sei denn, daß er befugt war,
dies Recht auch im Wege der Eigenmacht geltend zu machen.
Beispiele. I. A. weigert sich, das von B. ermietete Haus nach Ablauf der Mietzeit
zu verlassen; B. sucht ihn darauf gewaltsam aus dem Hause zu verdrängen. Hier kann A.
diesen Angriff B.s mit Besitzselbsthülse zurückweisen, ohne daß B. sich hiergegen auf sein
Recht berufen darf, von A. die Räumung des Hauses zu fordern. II. In dem oben S. 87
bei 3 a unter II genannten Fall kann der Hehler E. gegen D., der die ihm gestohlenen
Sachen gewaltsam fortnehmen will, selbstverständlich nicht zur Besitzselbsthülfe greifen, da
hier D. ja zur Anwendung von Gewalt befugt, seine Eigenmacht also keine verbotene war.
d) Verlust des Besitzes.
§ 193.
I. Der Besitzer einer Sache verliert seinen Besitz dadurch, daß dieser auf
einen andern übergeht (s. oben S. 71, 5).
Beispiele. I. A. hat sein Haus dem B. vor dem Grundbuchamt ausgelassen und zugleich
übergeben. Hier hat B. den Besitz sofort gewonnen, also A. ihn sofort verloren. II. Derselbe.