Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

8 193e. Besitzschutz des mittelbaren Besitzers. 95 
b) Hieraus folgt zweitens, daß auch dann, wenn die Besitzentziehung oder 
Besitzstbrung von einem Dritten verübt ist, dem Oberbesitzer ein kurzfristiger 
Besitzanspruch nur unter der Voraussetzung zusteht, daß sie sowohl gegen des 
Oberbesitzers wie gegen des Unterbesitzers Willen verstieß 3 und sowohl gegen- 
über dem Oberbesitzer wie gegenüber dem Unterbesitzer unerlaubt war (s. 869). 
Beispiel. A. ladet auf dem Grundstück, das B. von C. ermietet hat, wiederholt Schutt 
ab und stört damit den Unterbesitz des B., den Oberbesitz des C.; als B. und C. gemeinsam 
durch kurzfristigen Besitzanspruch die Forträumung des Schutts fordern, wendet A. ein, beide 
hätten ihm das Schuttabladen erlaubt. Hier ist, wenn die Erlaubnis beider oder wenn 
auch nur die Erlaubnis des Unterbesipers B. nachgewiesen wird, sowohl der Besitzanspruch 
B.s wie der C.## unbegründet; wird dagegen bloß die Erlaubnis des Oberbesitzers C. nach- 
gewiesen, so ist nur C.3 Besitzanspruch ungerechtfertigt, während der Anspruch B.s# in Kraft bleibt. 
Die Regeln zu 1 sind vom Gesetz so formuliert, daß in 869 ein Besitzanspruch des 
Oberbesitzers wegen einer gegen den Unterbesitzer verübten Eigenmacht ausdrücklich zugelassen. 
und ihm damit zugleich stillschweigend ein Besitzanspruch wegen einer nur gegen ihn selbst 
verübten Eigenmacht abgesprochen ist. Eine derartige Formulierung ist natürlich sehr un- 
deutlich; denn man kann ebenso gut sagen, neben dem in 869 ausdrücklich anerkannten Besitz- 
anspruch des Oberbesitzers wegen einer gegen den Unterbesitzer verübten Eigenmacht sei — bei 
der grundsätzlichen Gleichstellung des unmittelbaren und des mittelbaren Besitzes gemäß 868 
am Ende — der Besitzanspruch des Oberbesitzers wegen einer nur gegen ihn selbst verübten 
Eigenmacht stillschweigend zugelassen. Die Folge ist, daß man über die Frage hoffnungslos 
streitet. 
2. a) Verwandte Vorschriften gelten bei dem langfristigen Herausgabe- 
anspruch des Oberbesitzers für die Frage, ob die Streitsache dem Oberbesitzer 
„abhanden gekommen" ist: die Frage ist nämlich so lange, als nicht nachgewiesen 
wird, daß der Anspruchsgegner den Besitz in schlechtem Glauben erlangt hat, nicht 
allein aus der Person des Ober--, sondern immer zugleich aus der des Unter- 
besitzers zu beantworten. 
) Hieraus folgt erstens, daß die Sache so lange, als sie sich noch im 
unmittelbaren Besitz des Unterbesitzers befindet, dem Oberbesitzer nicht abhanden 
kommen kann. 
Beispiele. I. A. hat dem B. ein ungebundenes Buch als Pfand gegeben; B. hat sich 
dies Buch eigenmächtig angeeignet, indem er auf dem Titelblatt den Namen des A. aus- 
#wadiert und durch seinen eignen Namen ersetzt hat; dem A. lügt er vor, das ihm als Pfand 
gegebene Exemplar des Buchs sei ihm gestohlen; das jetzt bei ihm befindliche habe er aus 
eignen Mitteln für sich selber angeschafft. Hier darf A., wenn er die Lüge des B. durch- 
schaut, nicht behaupten, das Buch sei ihm abhanden gekommen. II. Anders liegt der Fall, 
wenn B. das Buch dem A. als Pfand zwar gutgläubig, aber eigenmächtig und objektiv 
rechtswidrig fortgenommen hat. Alsdann ist das Buch dem A. wirklich abhanden gekommen. 
Doch hat das Abhandenkommen ihn nicht als mittelbaren, sondern als unmittelbaren Besitzer 
gzetroffen. Denn es trat schon ein, als B. ihm das Buch pfandweise fortnahm und ihm 
damit den unmittelbaren Besitz entzog, und nicht erst, als B. seinen Pfand= in Eigenbesitz 
derwandelte und ihm damit auch den auf seinem bisherigen Pfandbesitz ruhenden mittelbaren 
Besitz raubte. 
FHieraus folgt zweitens, daß, wenn der Unterbesitzer seinen unmittel- 
baren Besitz einbüßt und ein Dritter diesen Besitz erlangt, hierin ein Abhanden- 
32 RNG. 68 S. 889.
	        
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