100 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
Beispiele bloßer Inhabung. I. A. bemerkt, daß B. ein Buch bei ihm hat liegen lassen,
und legt es zur Abholung bereit auf einen Tisch im Hausflur. II. C. ist in diebischer Ab-
sicht in die Wohnung des D., der mit seinem ganzen Hausstande im Gebirge weilt, ein-
gedrungen und hat dort auf einige Tage Quartier genommen. III. E. läßt ein seinem
Mündel F. gehöriges Gut in F.s Namen durch einen Inspektor verwalten.
2. Ob ein bestimmtes Gewaltverhältnis in Ansehung einer Sache Besitz
oder Inhabung ist, läßt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls ent-
scheiden. Maßgebend ist nicht, ob der Gewalthaber an der Ausübung seiner
Gewalt ein eignes Interesse hat oder nicht, sondern ob anzunehmen ist, daß
er sich eine eigenmächtige Entziehung seiner Gewalt durch einen andern
gefallen lassen oder sich durch Selbsthülfe, Klage bei Gericht oder in andrer
Art dagegen wehren wird.
Beispiele. I. A. gibt seinen Kutscherpelz im Winter seinem Kutscher B. zur Benutzung,
im Sommer unter Vorausbezahlung des Lagergeldes dem Kürschner C. zur Verwahrung.
Hier hat B. ein eignes Interesse an dem Pelz, C. nicht; aber C. ist Besitzer, B. bloßer In-
haber. II. 1. In dem ersten oben zu 1b genannten Beispiel ist A. nur Inhaber des Buchs.
Allerdings würde er es sich nicht gefallen lassen, daß B. gewaltsam in seine Wohnung ein-
dringt, um das Buch zu holen, aber nicht, weil B. dadurch in seine Gewalt über das Buch,
sondern weil er dadurch in seine Gewalt über die Wohnung eingreift. Dagegen ist anzu-
nehmen, daß, wenn B. sich einmal in A.S Wohnung angesichts des Tisches, auf dem
das Buch liegt, befindet, A. nichts dagegen einwenden wird, wenn B. das Buch, ohne erst
um Erlaubnis zu bitten, eigenmächtig an sich nimmt. 2. a) Ingleichen ist in dem oben
zu 1b genannten dritten Beispiel anzunehmen, daß der Vormund E., sobald das Gericht ihn
absetzt und an seiner Stelle einen neuen Vormund G. bestellt, es sich gefallen lassen wird,
wenn G. die Gewalt über das Landgut des F. eigenmächtig an sich nimmt. b) Anders
wäre die Rechtslage, wenn es sich nicht um ein Landgut, sondern um Wertpapiere F.3S
handelte, die der Vormund E. in seiner Privatwohnung verwahrt. Denn hier würde, wenn
der neue Vormund G. sich in der Wohnung des E. besände und dort zufällig die Wert-
papiere des F. erblickte, E. keinesfalls gestatten, daß G. die Papiere eigenmächtig an sich
nähme, sondern er würde sich eine ordnungsmäßige ÜUbergabe vorbehalten. Eben damit
würde er aber beweisen, daß er nach seiner Auffassung nicht bloß Inhaber der Papiere für
sein Mündel F., sondern daß er Besitzer der Papiere sei.
Die Unterscheidung von Besitz und Inhabung ist äußerst schwierig und deshalb auch
die Entscheidung der oben genannten Beispiele höchst zweifelhaft. Doch liegt die Schwierig-
keit in der Natur der Sache begründet und wird durch keine gesetzgeberische Kunst beseitigt
werden können. Man mache sich aber, wenn man z. B. den eben unter II, 2 à besprochenen
Fall anders entscheiden und den Vormund E. nicht bloß für den Inhaber, sondern für den
Besitzer des Mündellandguts ausgeben will, klar, welche Folgerungen daraus entstehn; so
würde etwa eine Zwangsvollstreckung aus einem gegen F. ergangenen Urteil in die auf dem
Gut befindlichen geschnittenen Früchte nur zulässig sein, wenn E. als Besitzer der Früchte
darein willigte (ZPO. 809).
II. Daraus, daß der bloße Inhaber einer Sache nicht als ihr Besitzer
gilt, folgt noch nicht, daß die in seiner Inhabung befindliche Sache völlig
besitzfrei sein müsse. Vielmehr ist, wenn der Inhaber seine Gewalt für einen
andern ausübt, dieser andre als Besitzer der Sache und zwar als ihr un-
mittelbarer Besitzer anzusehn. Alsdann hat das Nebeneinanderbestehn des
unmittelbaren Besitzes und der zu dessen Vertretung dienenden Inhabung
eine äußere Ahnlichkeit mit dem Nebeneinanderbestehn des mittelbaren und
des als seine Grundlage dienenden unmittelbaren Besitzes. Doch sind in