§ 195. Das Eigentum und die beschränkten dinglichen Rechte. 107
während der Eigentümer alles mit der Sache machen kann, was ihm nicht
kesonders verboten ist.
2. Der Gegensatz von Eigentum und beschränktem Recht wird besonders
beutlich, wenn man verfolgt, wie das Eigentum an einer Sache und ein an
der nämlichen Sache bestehendes beschränktes Recht — etwa der Nießbrauch —
emander beeinflussen.
à) Solange Eigentum und Nießbrauch nebeneinander bestehn, sind beide
sechte beschränkt: der Eigentümer darf nicht an die Früchte, der Nießbraucher
#af nicht an die Substanz der Sache rühren.
b) Nun nehmen wir an, daß der Nießbraucher auf sein Recht Verzicht
leset. Dies kommt ohne weiteres dem Eigentümer zugut: elastisch dehnt
desen Recht sich aus und ergreift nunmehr auch die vormals dem Nieß-
wiucher zukommenden Früchte. Man sieht: das Eigentum ist nur von
ußen her, nur durch den neben ihm stehenden Nießbrauch beschränkt gewesen.
zu der Nießbrauch gefallen, ist das Eigentum unbeschränkt, ist es „kon-
solidiert“.
e) Ganz anders ist die Rechtslage, wenn der Eigentümer auf sein
Eigenuum Verzicht leistet. Dies kommt dem Nießbraucher keineswegs zu gut:
es ist leine Rede davon, daß sein Recht sich elastisch ausdehnt und fortab
auch die vormals ausschließlich dem Eigentümer zukommende Substauz des
Cuts ergreift. Man sieht: der Nießbrauch ist nicht von außen her durch
#as neben ihm stehende Eigentum, sondern durch seine innere Natur beschränkt.
&yöbleibt also auch jetzt, nachdem das Eigentum gefallen, in den alten
Schranken.
Demgemäß kann man die „beschränkten“ Rechte mit den Stauden oder Sträuchern
vergleichen, denen ein starkes Wachstum von Natur versagt ist. Dagegen gleicht ein be-
#onäntes Eigentum einem Baum, der durch die Schere des Gärtners niedrig gehalten wird.
3. a) Regelmäßig erfreut sich das Eigentum gewisser Vorzüge vor den
beschränkten Rechten. Viele Arten der beschränkten Rechte sind nänlich
Maftigen Inhalts, insbesondre die meisten Grunddienstbarkeiten, das Vorkaufs--
reht, während der Inhalt des Eigentums, wie wir wissen, ein höchst um-
Esender ist. Viele Arten der beschränkten Rechte sind ferner zeitlich begrenzt,
sei es, daß sie mit dem Ablauf einer gewissen Frist von selber fortfallen, wie
der Nießbrauch, sei es, daß sie von dem Eigentümer durch irgendeine
Leistung abgelöst werden können, wie die Hypothek, während das Eigentum
regelmäßig ein ewiges Recht ist. Geschichtlich sind endlich die meisten be—
shraͤnlten Rechte später entstanden als das Eigentum: sie verdanken ihr Dasein
emem Rechtsgeschäft des Eigentümers, einer wider den Eigentümer erfolgten
Fvangsvollstreckung u. dgl.; so erscheinen sie als die Tochterrechte, das Eigentum
als das Mutterrecht.
b) Doch machen alle diese Vorzüge nicht das Wesen des Eigentums aus,
können im Einzelfall ebensogut auch fehlen. So gibt es manche be-