8 208. Eigentumserwerb an Früchten. 149
2. a) Hat jemand noch vor der Trennung der Früchte von dem Anfalls-
berechtigten die Erlaubnis erhalten, die Früchte eigenmächtig zu gewinnen, ohne
daß ihm dabei ein Recht „an“ der Muttersache zugestanden oder der Besitz
der Muttersache überlassen wurde, so gewinnt er das Eigentum der Früchte
zwar nicht in dem Augenblick, in dem sie von der Muttersache getrennt
werden, wohl aber in dem Augenblick, in dem er sie eigenmächtig in Besitz nimmt
(956); er hat also an den Früchten zwar kein Anfalls-, aber doch ein An-
eignungsrecht.“ Das Aneignungsrecht fällt fort, wenn der Anfallsberechtigte
seine Erlaubnis zurücknimmt, mag er auch durch die Zurücknahme seinen Ver-
pflichtungen gegenüber dem Aneignungsberechtigten zuwiderhandeln.
b) Die nämliche Regel gilt, wenn jemand die ebengenannte Erlaubnis
von einem des Anfallsrechts darbenden Besitzer der Muttersache erhalten hat,
vorausgesetzt, daß er zu der Zeit, als er die Früchte in Besitz nahm, wegen
der Rechtsgültigkeit der ihm erteilten Erlaubnis in gutem Glauben war: auch
er ist also zwar nicht anfalls-, aber doch aneignungsberechtigt (s. 957). Ob er,
wenn er von seinem Aneignungsrecht Gebrauch macht, den durch ihn ge-
schädigten Personen wenigstens in Höhe seiner Bereicherung haftbar ist, läßt
sich nicht allgemein entscheiden.
Beispiele. I. A. ist als Gärtner des B. angestellt und darf als solcher kontraktgemäß
in dem hinteren Garten des B. für eigne Rechnung Gemüse bauen. Hier hat A. nicht den
Besip, sondern nur die Inhabung des Gartens; er hat also nicht das Anfallsrecht zu 1a7,
sondern nur das Aneignungsrecht zu 2 a und wird demnach Eigentümer des Gemüses mit
der Besitznahme. II. Gleicher Fall: nur hat B. eines Tages erklärt, daß er das Gemüse
im Hintergarten fortab für sich selbst beanspruche. Hier ist B. im Unrecht; trotzdem be-
wirkt seine Erklärung, daß A. fortab das Eigentum des Gemüses nicht mehr gewinnt.
III. C. räumt das ihm von D. verpachtete Gut erst im September, obwohl seine Pachtung schon
am 1. Juli abgelaufen ist; am 15. Juli verkauft er alles Korn des Pachtguts auf dem Halm
an E. mit der Maßgabe, daß E. das Mähen und Ernten der Frucht selber zu besorgen
habe; E. läßt denn auch den Roggen und Weizen mähen; außerdem läßt er am 5. August
den Roggen in seinen Speicher schaffen, während er den Weizen auf dem Felde liegen läßt,
well er am 8. August erfahren hat, daß die Pachtung C.s längst abgelaufen war. Hier
gehört der Roggen dem E.; der Weizen gehört dagegen dem D., da er von E. nicht in Besitz
genommen ist. IV. F. bewundert die schönen Trauben eines an die Straße grenzenden
Weinberges; ein Witzbold, der des Weges kommt, ruft ihm zu: „pflücken Sie sich Trauben
ob, soviel Sie wollen, ich habe noch mehr“; F. folgt dieser Einladung, da er ohne Fahr-
lässigkeit annimmt, jener Witzbold sei Eigentümer des Weinberges. Hier wird, wenn man
sich lediglich an den Gesetzeswortlaut hält, dem F. das Eigentum der von ihm abgepflückten
Trauben zuzusprechen sein; denn das Gesetz (957) macht den Eigentumserwerb des F. nur
davon adhängig, daß ihm die Traubenlese von irgendeinem Unbefugten gestattet ist; doch ist
wohl zu unterstellen, daß der Unbefugte nicht ein beliebiger Dritter sein darf, sondern daß
er im Besitz des Weinberges gewesen sein muß (s. oben Bd. 1 S. 34 Abs. 4).5
3. Organische Früchte gelten, sobald sie von der Muttersache getrennt
sind, nicht nur als selbständige, sondern auch als neue Sachen.
a) Daraus folgt, daß, wenn die Muttersache dem Eigentümer abhanden
M RG. 72 G. 310.
5) Jacubetzty in der Zischr. das Recht 1902 S. 1. Abw. v. Blume in Seufferts
Blättern s. Rechtganwendung 67 S. 117.