160 Buch III. Abschnitt 3. Das Eigentum.
2. Solange der Baum auf der Grenze geduldet wird, ist sein Eigentum
zwischen den Nachbarn geteilt. Doch braucht man nicht zu untersuchen, wie
die Grenze im Stamm des Baums bis zu dessen Wipfel verläuft. Denn die
Nutzung des Baums ist von dieser Grenze durchaus unabhängig: für den
ganzen Baum steht sie beiden Nachbarn gemeinsam zu, und zwar, gerade wie
wenn der Baum gefällt wird, zu gleichen Anteilen (923 ).
IX. 1. Fallen Früchte eines Baums nicht auf das Grundstück,
auf dem der Baum wächst, sondern auf ein Nachbargrundstück, so gelten sie
als Früchte des letzteren Grundstücks, gleich als ob sie nicht bloß hierher ge-
fallen, sondern hier gewachsen wären (911 Satz 1).118 Sie geraten also in das
Eigentum dessen, dem die Nutznießung des Nachbargrundstücks, nicht in das
Eigentum dessen, dem die Nutznießung des Baums zukommt: „wer den bösen
Tropfen genießt, genießt auch den guten Tropfen“.
Die Regel ist vorzugsweise praktisch bei Bäumen, die auf der Grenze stehn oder mit
ihren Zweigen über die Grenze ragen. Doch gilt sie auch für Bäume, die mit allen ihren
Teilen jenseits der Grenze bleiben, sobald deren Früchte etwa durch den Wind auf das
Nachbargrundstück geschleudert werden.
2. Die Regel gilt für alle „fallenden“ Früchte, gleichgültig, ob sie auf
natürlichem Wege oder durch Schütteln zu Fall kommen. Hat freilich der
Nachbar selber geschüttelt, so hilft ihm der Erwerb der Früchte nicht viel:
denn er hat unbefugt gehandelt und ist deshalb obligatorisch verpflichtet, die
Früchte wieder herauszugeben oder ihren Wert zu erstatten (s. 823, 812).
3. Eine Ausnahme von der Regel zu 1 gilt, wenn das Nachbargrundstück dem öffent-
lichen Gebrauch dient: beispielsweise gehören die über eine Gartenmauer auf eine städtische
Straße fallenden Walnüsse weder der Stadt noch sind sie Gemeingut, sondern sie verbleiben
dem Nutznießer des Gartens (911 Satz 2).
X. Die für Bäume geltenden Regeln des Reichsrechts sind auch auf
Sträucher anwendbar (910, 911, 923 III); auch Weinstöcke werden hierher
zu zählen sein.
XI. 1. Über das Eigentum an Grenzanlagen ½ — Rainen, Gräben,
Hecken, Mauern usw. — verordnet das Gesetz nicht das mindeste; die Anlagen
können also einem der Nachbarn allein oder jedem von ihnen bis zu einer
bestimmten Grenzlinie gehören oder im ungeteilten Miteigentum beider Nach-
barn oder im Eigentum eines Dritten stehn.
2. Wohl aber regelt das Gesetz die Benutzung der Grenzanlagen.
a) Es wird vermutet, daß die Benutzung beiden Nachbarn gemeinschaftlich
zustehe; zur Widerlegung der Vermutung genügt es nicht, daß einer der Nach-
barn sein Alleineigentum an der Anlage dartut: denn, was ihm allein gehört,
kann doch der Benutzung nach gemeinsam sein; dagegen ist die Vermutung
14a) R. 70 S. 200.
15) A. Schmidt in der Anm. 13 genannten Schrift.
16) Abw. Wolff S. 154, Endemann II, 1 S. 459.