§ 256. Ausstellung der Inhaberschuldverschreibung. Wesen des Ausstellungsakts. 389
b) Von den eben erwähnten Sonderregeln abgesehn unterliegt der Aus-
stellungsakt den für Vertragsanträge geltenden allgemeinen Normen, namentlich
was die Geschäftsfähigkeit, die Zulässigkeit und Wirkung einer Stellvertretung,
die Bedeutung von Mängeln im Willen des Ausstellers betrifft.
Beispiele s. unten S. 397.
Bei der Regel zu b muß es auch in den Fällen verbleiben, in denen der Aussteller
gegenüber einem bestimmten Gläubiger verpflichtet wird, ohne daß eine rechtsgeschäftliche
Annahme von seiten dieses Gläubigers erfolgt ist (s. oben S. 388 ). Denn auch in diesen
Fällen ist der Ausstellungsakt ein Vertragsantrag, wenn er auch nicht als solcher wirkt.
2. Die zu 1 entwickelten Regeln sind im Gesetz nur zum kleinsten Teil
ausdrücklich ausgesprochen und deshalb sehr umstritten. Insbesondre wird
vielfach behauptet,
a) daß die Ausstellung einer Inhaberschuldverschreibung als solche über-
haupt kein Rechtsgeschäft sei und demgemäß die Verpflichtung des Ausstellers
aus der Schuldverschreibung nicht den Charakter einer rechtsgeschäftlichen Schuld,
geschweige denn einer Vertragsschuld, sondern den einer gesetzlichen Obligation
habe,
b) daß die Ausstellung einer Inhaberschuldverschreibung zwar ein Rechts-
geschäft, aber kein Vertragsantrag, sondern eine Willenserklärung sei, die den
Aussteller einseitig verpflichte,
J%) daß, selbst wenn man die Ausstellung einer Inhaberschuldverschreibung
für einen Vertragsantrag erachten sollte, doch die für gewöhnliche Vertrags-
anträge geltenden Regeln über Willensmängel nicht oder nur beschränkt auf
sie angewendet werden dürfen."
Gegen die von mir? vertretene Theorie der Rechtsnatur des Ausstellungsakts spricht,
daß sie mit Fiktionen arbeitet. Denn in Wirklichkeit will jeder einzige Aussteller einer
Inhaberschuldverschreibung sich nicht schon durch die Ausstellung, sondern erst durch
die Ausgabe der Urkunde verpflichten, und sehr wenige Erwerber einer Inhaberschuldver-
schreibung machen es sich klar, daß sie durch ihren Erwerb nicht bloß mit dem Vorbesitzer der
Urkunde, sondern auch mit dem Aussteller einen Vertrag abschließen. Ich habe deshalb auch
nicht das mindeste gegen die Theorie einzuwenden, die dem Ausstellungsakt den Charakter
eines Rechtsgeschäfts ganz abspricht. Nur führt diese Theorie zu einer großen Lücke. Denn
die Regeln, die unfre Gesetze für den Ausstellungsakt aufstellen, sind offensichtlich unvoll-
ständig. Sie bedürfen also einer Ergänzung, und es ist zweifellos, daß man diese Ergänzung
nicht allein durch irgendwelche juristische Spekulationen, sondern außerdem durch analoge
Anwendung der positiven für echte Rechtsgeschäfte geltenden Regeln gewinnen muß. Sonach
sind wir vor die Frage gestellt, ob wir die für Rechtsgeschäfte, die den Urheber einseitig ver-
Ppflichten, oder die für Vertragsanträge geltenden Regeln analog zur Anwendung bringen
müssen. Wenn ich mich für das letztere entscheide, so bestimmt mich hierzu die einfache Er-
wägung, daß der Ausstellungsakt alles in allem einem Vertragsantrage ähnlicher ist als
einem einseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft und daß die für Geschäfte der letztern Art be-
stehenden positiven Regeln (s. 111, 174) für den Ausstellungsakt sehr schlecht passen. Schließt
2) Manigk, S. 324; Gierke, d. Pr R. 2 S. 112.
3) Langen, Kreationstheorie (06).
4) Crome 2 §F 31041.
5) Ahnlich Jacobi in den oben S. 384 genannten Schriften.