392 Buch 1V. Das Recht der Urkunden.
angeblichen Aussteller erwerben, auch der nicht, der von der Unechtheit der
Urkunde oder der Ungültigkeit der Ausstellung nichts gewußt hat und nichts
hat wissen können.
Beispiele s. unten S. 397.
2. Die zweite, im Grunde gleichfalls selbstverständliche Voraussetzung ist,
daß die Urkunde von einer andern Person als dem Aussteller erworben wird.
a) Hält man sich lediglich an den herkömmlichen Wortlaut der Inhaber-
schuldverschreibung, so sollte man meinen, daß unter dem „Erwerbe“ der Ur-
kunde in dem hier maßgeblichen Sinn weiter nichts als der Erwerb ihrer tat-
sächlichen „Inhabung“ zu verstehn sei. Doch ist diese Annahme nach zwei
Richtungen hin falsch.
a) Erstens läßt das Gesetz den tatsächlichen Inhaber der Urkunde als
Gläubiger des Forderungsrechts aus der Schuldverschreibung nur für den Regel-
fall gelten, spricht ihm dagegen ausdrücklich das Gläubigerrecht in dem Fall
ab, daß ihm nachweislich das Recht fehlt, über die Urkunde zu verfügen
(793 1 Satz 1).
6) Zweitens ist anzunehmen, daß demjenigen, der nachweislich das Recht
hat, über die Urkunde zu verfügen, aber der tatsächlichen Inhabung der Ur-
kunde darbt, das Gläubigerrecht aus der Urkunde nicht gänzlich fehlt, sondern
daß ihm nur, so lange er der Inhabung entbehrt, der Regel nach die Aus-
übung seines Gläubigerrechts versagt ist.
Beispiel. A. hat dem B. eine diesem gehörige von C. ausgestellte Inhaberschuldver-
schreibung gestohlen. Hier ist Inhaber der Urkunde der Dieb A. Trotzdem ist zweifellos,
daß A. nicht Gläubiger des C. geworden ist. Andrerseits ist nicht anzunehmen, daß es an
einem Gläubiger zurzeit gänzlich fehle. Vielmehr wird der Bestohlene B. nach wie vor als
Gläubiger anzusehn sein, obschon er der Regel nach sein Gläubigerrecht erst auszuüben
vermag, wenn er die Inhabung der Urkunde zurückerlangt hat.
Die Fortdauer des Gläubigerrechts in der Person eines Gläubigers, der der Inhabung
der Urkunde zu Unrecht entbehrt, zeigt sich praktisch z. B. darin, daß solch ein Gläubiger
gegebenenfalls einen Arrest gegen den Aussteller erwirken kann. Siehe auch die freilich nur
für Orderschuldverschreibungen geltende Regel in HGB. 365 II.
b) Hiernach gibt es Fälle, in denen der Inhaber der Schuldverschreibung
Nichtgläubiger, der Nichtinhaber Gläubiger aus der Schuldverschreibung ist,
jener weil ihm das Recht der Verfügung über die Urkunde fehlt, dieser weil
ihm das Recht der Verfügung über die Schuldurkunde zusteht. Maßgebend
für das Gläubigerrecht aus der Urkunde ist also nicht allein die Inhabung,
sondern neben ihr auch das Recht der Verfügung über die Urkunde.
a) „Inhaber“ ist, wer tatsächlich in der Lage ist, die Urkunde persönlich
oder durch einen Vertreter dem Aussteller vorzulegen. Der Begriff der „In-
habung“ in dem hier fraglichen Sinn fällt also nicht etwa mit dem Begriff
des Besitzes, sei es des unmittelbaren, sei es des mittelbaren, zusammen und
1) Gierke, D. PrRR. 2 S. 171.